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winkeWie eine Winkekatze ihren Körper verlor,
die Pfote aber ihre Wirkung nicht verlor

Wirkung

Haru Yamada schlenderte am frühen Nachmittag die Straße entlang, nieder geschlagen und in sich gekehrt. Es war die dritte Arbeitsstelle innerhalb von 6 Monaten, die er verlor. Vorher war er sieben Jahre Büroangestellter in einer Speditionsfirma gewesen, bis sie verkauft wurde. Der neue Besitzer übernahm nur die Fahrer.

In seine leeren Gedanken versunken, vor sich hin gehend, grübelnd, sich zu nichts fähig fühlend, zu nichts gebraucht, kickte er mit dem Fuß alles, was vor ihm auf dem Boden lag, aus dem Weg. Was sollte er seiner Frau sagen, wie wird sein junger Sohn den Vater erleben, der keine Arbeit findet, wie sollte es weiter gehen, wird es weiter gehen. Das, was ihm im Weg lag, kickte er nicht aus Aggression zur Seite, damit etwas Anderes für ihn büßen sollte, weil er einen freien Weg haben wollte, er machte es eher, damit seine Füße eine Beschäftigung hatten, damit es ihnen nicht so erginge wie ihm, der ohne Arbeit, bedrückt, dahin trottete, zu nichts nutze. Wie sollte er denn je eine Arbeit finden? Wieder wollte er, ohne hinzusehen, einen nicht beachteten Gegenstand wegkicken, da nahm er ihn kurz wahr, er sah einen einzelnen Arm einer Winkekatze, einen Arm ohne Körper im Straßenschmutz liegen. Er blieb mechanisch stehen, abrupt, ohne zu denken und schaute, nicht ganz wahrnehmend, auf das, was er sah, den Arm. „Ei“, dachte er, „wer hat hier einen Arm weggeworfen, einen Arm einer Winkekatze? Wie einsam der Arm da liegt.“. Er bückte sich und steckte den Winkearm ein. Es war bei Leibe kein schöner Arm, zerkratzt, angebrochen, verschmutzt, angebissen, er lag sicher schon seit Tagen, wenn nicht schon seit Wochen auf der Straße, unbemerkt. Ganz schwach, im äußersten Augenwinkel, sah Haru Yamada, wie eine Perserkatze langsam um eine Häuserecke schlich und verschwand.

Ein paar Tage später, als er alles, dass er keine Arbeit mehr hatte, dass er nicht mehr wisse, wie es weiter geht, seiner Frau erzählt hatte und seinem Sohn in Andeutungen, bekam er einen Anruf von einem Gemüsegroßhandel, die anfragten, ob er nicht aushelfen könne, ob er Zeit hätte, für 5 Wochen die Buchhaltung bei der Jahresabrechnung zu unterstützen.

Seine Frau fand in der Jacketttasche ihres Mannes den Winkekatzenarm und stellte ihn amüsiert lächelnd in den Wohn-zimmerschrank, hinter eine Glastüre.

Seine neue Arbeit in dem Gemüsegroßhandel war so zufrieden stellend, dass er, nach den fünf Wochen, eine Festanstellung bekam und nach eineinhalb Jahren der leitende Einkäufer wurde. Herr Yūto Hatake, der Besitzer des Gemüsegroßhandels „Shinsen kudamono“, was so viel heißt wie „Immer frisches Gemüse“, war nicht mehr der Jüngste, und da er mit Haru Yamada sehr zufrieden war, übertrug er ihm immer mehr Aufgaben. Im sechsten Jahr wurde er Stellvertreter von Herrn Yūto Hatake, der sich darauf hin immer mehr zurück zog. In den folgenden Jahren leitete Haru Yamada die Firma, mit großem Erfolg, faktisch allein. Er führte neue Betriebsstrukturen ein, die die Firma immer größer werden ließen. Als die Firma schon über hundert Angestellte hatte, die ganze Umgebung mit frischem Gemüse belieferte, bestelle der alte Herr Yūto Hatake seinen Angestellten Haru Yamada ein, um mit ihm über die Zukunft zu sprechen. Herr Yūto Hatake sagte zu ihm: „Herr Yamada, ich bin nun zu alt für die Geschäfte, ich habe keine Kinder, ich habe Sie wie einen Sohn aufgenommen und möchte nun, dass Sie die Firma übernehmen.

Das erste was Herr Haru Yamada auf seinen neuen Chefschreibtisch stellte, war der Arm der Winkekatze. Er hatte ihn inzwischen unter einem Glassturz, auf einem gelben Samtkissen liegen. Er war überzeugt, dass das ganze Glück, der ganze Wohlstand, nur diesem Arm der Winkekatze zu verdanken sei.

An seinem 70. Geburtstag, übergab er die Firma seinem Sohn und empfing einen der führenden Architekten, um mit ihm die Pläne für einen großen repräsentativen Shintō-Schrein zu Ehren des Armes der Winkekatze zu bauen.

Heute, viele Jahre später, zieht dieser Schrein jährlich tausende Menschen an, um dem glückbringenden, körperlosen Arm der Winkekatze ihre Verehrung zu bringen und den Arm um Glück und Wohlstand zu bitten.

Geschehen

Hayato saß nun schon seit einem halben Jahr in seinem Zimmer, ging nicht zur Schule, nicht vor die Türe seiner elterlichen Wohnung, schloss sich in seinem Zimmer ein. Heute, als niemand zu Hause war, schlich er sich, schleppend, in einen nahe gelegenen Park. Hayato dachte über sein 15-jähriges Leben nicht nach, er sollte bald 16 Jahre alt werden, aber es spielte für ihn keine Rolle, weil nichts für ihn eine Rolle spielte, nichts für ihn von Bedeutung war. Er saß auf seiner Bank und schaute vor sich hin, aber auch damit konnte er nichts anfangen, er empfand nicht einmal Langeweile, selbst dies war ihm zu anstrengend. Seinen Kopf manchmal in seinen Händen haltend, saß er da. Wenn wir vorbeikämen und ihn so sähen, würden wir denken, dass der junge Mann über etwas nachdenkt, über etwas grübelt, über eine Schularbeit zum Beispiel. Wie er so da saß, ohne jegliches Interesse, schlich sich eine Katze zu ihm, streifte um seine Beine, rieb sich an ihm, zwängte sich zwischen seinen Füßen hindurch. Hayato reagierte nicht.

Plötzlich fing die Katze zu reden an: „Du bist doch Hayato. Ich seh dich oft vom Baum vor deinem Fenster, wie du in deinem Zimmer sitzt. Du scheinst die Welt der Menschen auch nicht zu verstehen, wie ich die Welt der Katzen nicht verstehe. Bist du jetzt jeden Tag hier im Park?

Hayato antwortete nicht. Die Katze ließ eine Zeit verstreichen und sagte dann: „Wir sehen uns wieder“, rieb sich noch einmal an seinem linken Bein und zog von dannen.
In den folgenden Tagen vermied Hayato jeden, auch nur den kürzesten Blick aus seinem Fenster. Nach 7 Tagen, als niemand zu Hause war, ging er wieder in den Park und setzte sich auf die Bank. Es dauerte nicht lange, bis sich die Katze an seine Beine schmiegte und zu sprechen anfing. „Ich verstehe die Katzen nicht. Ich bin viel herum gekommen in meinem Leben, habe Katzen aller Kontinente kennen gelernt. Die Japanischen hier beobachte ich genau und verstehe ich am wenigsten. Vielleicht wie du die Menschen nicht verstehst. Ich bin eine Perserkatze und werde in Ruhe gelassen, sie nehmen mich gar nicht wahr, auch wenn sie sich sonst in alles einmischen, selbst in die Angelegenheiten der Menschen. Ich erzähle dir einmal, was ich alles erlebt habe.“ rieb sich noch einmal an seinem linken Bein und schlug sich, hinter dem Rücken von Hayato, in die Büsche.

Die nächsten zwei Tage kam Hayato nicht in den Park. Er wollte auf keinen Fall neugierig sein. Am dritten Tag saß er wieder auf der Bank, die Katze umstrich seine Beine und erzählte ihm aus ihrem Katzenleben. Hayato kam nun fast jeden Tag, er sprach nie etwas, es schien so, als ob die Perserkatze es auch nicht erwartete. Sie erzählte ihm von Katzen aus allen Herren Länder, wie sie alle eigenwillig sind, widersprüchlich, Einzelgänger und doch wollen sie mit anderen zusammen sein, sie kümmern sich nie um etwas. Veränderungen können sie gar nicht leiden, pedantisch lehnen sie alles Neue ab, um sich dann doch sofort in das Neue einzufügen.

Eines Tages kam die Perserkatze auf die japanischen Katzen zu sprechen. Sie erzählte wie ganz normale Katzen sich plötzlich zu Katzenmonstern verändern können, sich in einen Bakeneko verwandeln würden, um dann verstorbene Menschen zu stehlen, sie mit ihrem Geist besetzten und diese dann wie einen Zombie steuerten. Sie erzählte von Nekomata, von Katzen, die einen gespaltenen Schweif haben, auf zwei Beinen gehen und ganz, ganz böse sind. Auch von der Feuer-Katze Kasha, wie diese menschliche Leichname vor der Bestattung stiehlt und sie in die Hölle verschleppt, und dass die Kasha die Maneki-neko hasst, die glücks- und wohlstandsbringende Katze, besonders deren immer winkenden Arm.

Hayato kam nun regelmäßig in den Park und hörte sich die Geschichten der Perserkatze, die sich nie mit ihrem Namen vorstellte, so wie er nie ein Wort sagte, an.

Eines Tages erzählte die Perserkatze von einem Kampf, den sie beobachtet hatte, wie zwei böse Monsterkatzen, eine Bakeneko und eine Nekomata, angestachelt von einer Kasha, die ihrem immer brennenden Feuerwagen nicht entstieg, einer Maneki-neko, der glücksbringenden, auflauerten und sie attackierten. Sie beschimpften die Maneki-neko als arrogant, als einschmeichelnd, forderten von ihr, dass sie aufhören sollte, mit ihrer Tatze zu winken. Durch ihre eigenen Reden angestachelt wurden sie immer handgreiflicher, bis sich beide zusammen über die Maneki-neko hermachten. Mit einem Gebrüll stürzten sie sich auf sie, die Maneki-neko konnte sich gegen diese Übermacht nicht wehren. Während des Kampfes wurden die beiden, Bakeneko und Nekomata, immer wilder, Kasha keifte sie, anspornend, wütend auf ihrem Wagen sitzend, an. Sie zerrissen das Fell der Maneki-neko, das machte sie nur noch wütender, wie in einem Rausch fingen sie an, die ganze glückbringende Katze in einzelne Stücke zu zerfetzen. Als sie fertig waren, lag nur noch der immer winkende Arm am Boden. Auf diesen traten sie, zerkratzen, bissen ihn, bespuckten und urinierten auf ihn, bewarfen ihn mit Straßendreck, versuchten, ihn so weit es ging zu malträtieren, ohne dass er kaputt gehen konnte. Davor hatten sie Angst, denn hätten sie den glückbringenden Arm zerstört, wären sie schlagartig wieder zu den normalen Katzen geworden, die sie einmal gewesen waren.

Als sie sich abreagiert hatten und die Kasha höhnend lachend in ihrem Feuerwagen weg fuhr, gingen auch die beiden Monsterkasten Bakeneko und Nekomata ihrer getrennten Wege. Der Arm blieb einsam auf der Straße liegen. Das Letzte, was die Perserkatze noch erzählte, war, dass sie sah, wie ein trauriger Mann vorbei kam und den übrig geblieben Arm aufhob und ihn mit sich nahm. Dann schmiegte sie sich noch an die Füße von Hayato, und verschwand wie immer hinter ihm im Gebüsch.

An diesem Abend, als die Perserkatze diese Geschichte erzählt hatte, setzte sich Hayato das erste Mal wieder zum Abendessen an den Tisch seiner Eltern. Am anderen Tag ging er in die Schule, wie er die ganzen nächsten Jahre weiter in die Schule ging.

Ab und an setze er sich auf dem Schulweg kurz auf die Parkbank, aber die Perserkatze tauchte nicht mehr auf. Andere Katzen, denen er begegnete, sprachen nicht mit ihm oder er konnte sie nicht verstehen.

Literatur:
Margot Tauchert, „Das Schnüren der Katzen“ Nürnberg 2010
Robert Rinck, „Katzen aus aller Welt“, Hamburg, 1976
Michael Olbricht, „Katzen im Mythos, Berlin 2001
Susanne Gross, „Der Maneki-neko App“ Berin 2014