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Der Film, der Wels und der Schlüssel

Im Lauf der Zeit

 

 

1976: Es war zum verrückt werden. Als man den VW Käfer, nach den Dreharbeiten zu dem Film „Im Lauf der Zeit“ von Wim Wenders, wie vertraglich geregelt, aus der Elbe wieder herausholte fand man den Autoschlüssel der noch im Zündschloss stecken sollte, nicht mehr.
Als Robert, gespielt von Hanns Zischler, in der berühmt gewordenen Eingangsszene, ( im Hintergrund: die halbierte Eisenbahnbrücke bei Dömitz ) in suizidaler Absicht über eine Sandbank in die Elbe fuhr, steckte der Autoschlüssel noch fest im Zündschloss. Robert zog ihn nicht ab, als er sich aus dem untergehenden Auto befreite.
Als die Bergungsmannschaft nach dem Dreh das Auto barg, fehlte von dem Autoschüssel jede Spur. Das Auto wurde abgesucht. Da es nicht sicher war, ob Wenders die Szene noch einmal nachdrehen lassen würde, musste der Schlüssel unbedingt gefunden werden.
Die Szene passte, war stimmig, sie wurde nicht mehr nachgedreht. Der fehlende Schlüssel wurde durch einen nachbestellten ersetzt. Die Sache wurde vergessen. Das Auto fuhr noch Jahre.

Der Film „Im Lauf der Zeit“ war der der Durchbruch der Filmtätigkeit Wim Wenders.

4. August 1981: Uwe Zummler, leidenschaftlicher Fischer, angelte bei Wahrenberg an der Elbe einen übergroßen Wels. Einige Fischerkollegen, die zugegen waren, feierten den Fang, der größte Wels der letzten Jahrezehnte, hier in der Elbe! Sie fotografierten den 2 Meter langen und gut 70 kg schweren Wels.
Am Abend wurde der Fang in der Fischerklause gefeiert und ausgiebig betrunken. Der Fisch wurde von der Wirtin Josefine Schulz ausgenommen, und sie fand in seinem Magen einen silbern glänzenden Schlüssel, der sofort von den anwesenden Fischern untersucht wurde. Die Sensation war, auf dem Schlüssel stand eindeutig VW, es war ein Autoschlüssel von drüben.

Das Problem war nun ein doppeltes:
1. Das war der größte Wels den alle je gesehen hatten, und gerade der wurde von Uwe Zummler an einer „verbotenen Stelle“ gefangen: Im Sperrgebiet der Elbe, Richtung Westdeutschland. Das Angeln wurde vom Abschnittsbeauftragten Klaus Zyskiskie, der selbst Angler war, stillschweigend geduldet, ob wohl es strikt verboten war.
2. Der Inhalt des Fisches, ein Autoschlüssel von 'Drüben', von einem Auto, an das hier in der DDR nicht zu kommen war. Ein Autoschlüssel vom Klassenfeind.

Beides durfte nicht in die Öffentlichkeit gelangen. Langsam wurden allen Beteiligen der Feier die Zusammenhänge klar, ihnen verging ihre Feierlaune und man machte sich auf den Weg nach Hause.
Den Schlüssel nahm Uwe Zummler mit nach Hause.

Sommer 2011: Durch einen Zufall entdeckte der Filmhistoriker und Hobbyangler Dr. Georg Müller, auf einem Trödlelmarkt in Wittenberge, ein Foto Album. Auf einem der Bilder war ein außergewöhnlich großer Wels zu sehen, neben dem ein Autoschlüssel lag.
Dr. Georg Müller kannte die Anekdote von dem verschwunden Autoschlüssel bei den Dreharbeiten von „Im Lauf der Zeit“. Und er wusste als Angler, dass Welse gern blinkende Gegenstände verfolgen und verschlucken, dass Welse als Standort treu gelten und dass Kaltenhof, wo der Film gedreht wurde, nicht weit von Wittenberge entfernt liegt.
Diese beiden Bestandteile seiner Überlegung gedanklich zusammengesetzt, folgerte er, dass demnach der Schlüssel auf der Photographie der verschwundene Schlüssels der VW-Käfers von 1976 sein könnte. Dieser, seinen eigenen Idee konnte er selbst nicht ganz glauben, aber sie forderte ihn heraus. Lies ihn nicht mehr in Ruhe.

Er machte sich auf die Suche und fand Ilse Zummler, die Witwe von Uwe Zummler, der 1998 bei einem Autounfall ums Leben gekommen war.
Von ihr erfuhr er, dass sie die ganzen Angelutensilien ihres Mannes, mitsamt des Fotoalbum, einem Trödler verkauft hätte. Sie erzählte ihm die Geschichte des Bildes mit dem Wels und dem Schlüssel. Sie zeigte ihm den Schlüssel, den sie aufbewahrte. Dr. Georg Müller der ihn sich genau anschaute und untersuchte, stellte fest das es exakt ein solcher Autoschlüssel ist, der zu dem VW Käfer des Filmes „Im Laufe der Zeit“ passte. Der Jahrgang, so wie das Model des Käfers stimmten überein.
Genau nachgewiesen konnte die Zugehörigkeit bis heute nicht, denn der VW-Käfer des Filmes war inzwischen schon längst verschrottet.

Als Wim Wenders von der Geschichte hörte, bedauerte er im Nachhinein, dass er seine Hauptfigur Bruno genannt hatte, und nicht Benno, wie er es anfangs vorgehabt hatte. Er kannte als gelernter Katholik die Geschichte des Hl. Benno, der den Schlüssel seines Doms vor einer Romreise in die Elbe schmiss und der, als er zurück kam, und unerkannt bei einer Fischerfrau eine Fisch serviert bekam, in dessen Magen seinen Domschlüssel wieder fand.

Welch wundersame Wiederholung.


Literatur:

Gerde Fuchs, Verschlüsselnde Fundstücke, Hamburg, 2011
Paul Siedler, Die Geschichte des Film an 100 Requisiten, Berlin, 2012
Fritz Müller-Scherz (Hrsg.): Im Lauf der Zeit, Frankfurt a.M, 1976