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Gertraude und LenaDie Lebensgeschichte von Gertraud Pachulke und Lena Tribukeit
oder
Erste lesbische Hochzeit aus dem Jahre 1950

 

Am 15. August 1950, am Fest Mariä Himmelfahrt, heiraten Lena Pachulke, geb. Tribukeit, und Gerd Pachulke im noch provisorischen und von Kriegsschäden gezeichneten Standesamt von Berlin-Charlottenburg. Das nach der Eheschließung obligatorische Hochzeitsfoto wurde im Fotostudie Sailer in der Zillestraße aufgenommen und anschließend im nahe gelegenen Traditions-Gasthaus Hög ein Mittagessen für 16 Personen ausgerichtet. Den 15. August wählten sie als Termin, weil er genau zwischen ihren Geburtstagen lag.

Gerd Pachulke wurde als Gertraud Pachulke am 10. Mai 1925 im ostpreußischen Abschwangen 40 km südöstlich vor Königsberg geboren. 1943 verließ sie ihr Elternhaus und ging als Serviererin nach Königsberg, wo sie im gutbürgerlichen Kaffeehaus Adler, Am Steindamm Ecke Am Heumarkt, als Serviererin arbeitete.

Einen Monat, nachdem sie ihre Arbeit aufgenommen hatte, lernte sie die im nur 10 km östlich von ihrem Heimatort am 21. Nov 1925 in Uderwangen geborene Lena Tribukeit kennen.

Fünf Monate später bezogen sie eine kleine gemeinsame Wohnung in der Michaelsstraße 7.

Lena Tribukeit arbeitete als Hausmädchen bei der Familie Noldenkothen, die ein einschlägig bekanntes Schuhgeschäft in Königsberg führte. Der Familie Noldenkothen war es ganz recht, dass ihre Lena auszog, denn es stellte sich neuer Nachwuchs ein und so konnte das bisher von der Lena bewohnte Zimmer die älteste Tochter Mathilde übernehmen.

Königsberg war seit den zwanziger Jahren bekannt als Hochburg der Tribaden und Urninden. Selbst in den Zeiten des wahnhaften, rassistischen Feldzuges gegen Andersartigkeit und Gleichgeschlechtlichkeit konnten sich kleine, versteckte Nischen erhalten. Frauen trafen sich, wenn auch für Außenstehende kaum erkennbar, gerne im Kaffee Adler, während für Männer kaum mehr ein öffentlicher Ort vorhanden war und sie sich fast vollkommen ins Private zurückzogen, um der Verfolgung zu entgehen.
Nur einem kleinen Kreis Eingeweihter war bekannt, dass Frau Tribukeit und Frau Pachulke ein unzertrennliches Paar waren. Dass zwei junge Frauen zusammen wohnten, war damals in dem Stand, in dem sie lebten, als Serviererin und Hausangestellte, durchaus üblich, niemand machte sich weitere Gedanken darüber.

Im Herbst 1944, als die Russische Front immer näher auf Königsberg zukam, die ersten Flüchtlingstrosse schon in Richtung Westen gezogen waren, schlossen sie sich einem Zug mit 2000 Menschen Richtung Danzig an. Am Abend des 15. April 1945 gelangten sie als einer der letzten Passagiere auf das total überfüllte Lazarettschiff Pretoria, das schwer beschädigt vom Ostseehafen Hela auslief. Das 16.662 BRT Schiff Pretoria läuft heute als Pilgerschiff unter dem Nahmen Gunung Djati unter indonesischer Flagge. Am 16. April kamen beide wohlbehalten, so weit man das Wort wohlbehalten in solch einem Zusammenhang benutzen darf, in Kopenhagen an und wurden in ein Flüchtlingslager südlich der Stadt im heutigen Stadtteil Amager eingewiesen. Gertraud Pachulke verlor bei ihrer Flucht alle ihre Papiere, bei dem Sprung auf die Pretoria ist ihr ihre Tasche entglitten und in die Ostsee gefallen. Lena Tribukeit konnte sich ausweisen und bürgte für die Identität ihrer Freundin.

Nun begann das Wirrwarr der Nachkriegszeit. Im Frühsommer 1945 kamen beide nach Lübeck, von dort in ein Auffanglager nach Köln, von dort nach Sindelfingen, wo sie bis 1949 blieben und als Hilfen im dortigen Krankenhaus arbeiteten. Gertrud Pachulke hatte immer noch einen behelfsmäßigen Ausweis, erst bei eindeutiger Feststellung ihrer Person sollte sie abschließende Papiere bekommen.

1949 gelang es ihnen, nach Berlin zu kommen, hier wollten sie einen Neuanfang beginnen. Frau Gerd Pachulke erzählt noch heute mit einem Schmunzeln im Gesicht, wie sie in Köln aus Versehen einen Ausweis auf den Namen Gerd Pachulke bekam, nur weil sie kurze Haare trug und der Beamte nicht genau schaute, wie sie beide darüber lachten und zur gleichen Zeit unabhängig von einander auf eine folgenreiche Idee kamen.

In Berlin suchten sie eine Wohnung in Charlottenburg und versuchten, sich mit verschiedenen Arbeiten durchzuschlagen. Die „Kölner Idee“, wie sie es nannten, ließ sie aber nicht los. Sie bekamen zu den sich neu gruppierenden und neu entstehenden Kreisen von Künstlern Kontakt. Viele Schwule zeigten sich wieder in einer geschlossenen Öffentlichkeit, es entstanden etliche Kontakt-Bars, wo sich die Überlebenden treffen konnten, auch neue Lokale für Frauen wurden eröffnet. Das Ganze war in Berlin eingebettet in einen großen Kreis von Anderslebenden, Überlebenden, von Künstlern , Schwulen und Lesben. Aus diesem Milieu heraus entstand auch die legendäre Kneipe Leierkasten in Kreuzberg in der Zossener Straße.

Von Oskar Huth, der während des Faschismus sehr akribisch Ausweise gefälscht hatte, die echter waren als die echten, und nun in der Nachkriegszeit sehr gute Lebensmittelkarten herstellte, bekamen sie alle nötigen Papiere, um heiraten zu können. Die von Gertraud Pachulke waren auf Gerd Pachulke ausgestellt, sogar eine Bescheinigung, dass Gerd Pachulke in Königsberg unabkömmlich war und daher nicht an die Front musste, wurde ihr mitgegeben.

Warum wir unbedingt heiraten wollten, weiß ich auch nicht mehr“, sagt Frau Gerd Pachulke heute, „aber irgendwie hatten wir von dem Umherziehen die Nase voll und wollten zumindest für uns zwei eine Sicherheit haben. Irgendwie war es aber auch zu einer fixe Idee geworden. Wir haben es im Übrigen nie bereut.“
Am 15. August heiraten sie. Herr Oskar Huth war bei der feierlichen Trauung anwesend und überzeugte sich von der guten Arbeit, die er leistete. „Es war eine Traumhochzeit, die wir hatten und wir wollten unbedingt ein echtes Hochzeitsfoto von uns haben“, erinnert sich heute Gerd Pachulke.

Das frisch gebackene Paar übernahm 1954 einen Zeitungskiosk in Wilmersdorf, den es bis 1984 gemeinsam führte. Zu ihren Geburtstagen trafen sie sich oft mit Freunden, die um sie wussten, auch eine Ärztin war darunter, im ostpreußischen Lokal Marjellchen in der Mommsenstraße 9, um die heimatlichen Zodderklopse mit Kartoffelkeilchen zu essen.

Auf die Frage, ob sie nie Angst gehabt hatten, entdeckt zu werden, und dass der ganze Schwindel einmal auffliegen könnte, antwortet Frau Pachulke mit einem kurzen „Nö“.
In der Nacht zu ihrem 52. Hochzeitstag verstarb Frau Lena Pachulke nach einem kurzen Leiden zu Hause 78 -jährig in den Armen ihrer Freundin und hat auf dem Friedhof Wilmersdorf ihre letzte Ruhe gefunden.

Frau Gerd Pachulke, die in einem sich in der Nähe befindlichen Seniorenheim wohnt, besucht das Grab 2-3 Mal in der Woche.

 

Auf dem Grabstein steht

Ruhet in Frieden,
wie wir in Frieden gelebt haben.