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kanone
Die Ulmer Kugel
oder
Zwischen großem Getöse eine stille Nachricht.


Es ist wieder einmal Krieg. Der Kaiser will etwas von den Ulmern und diese weigern sich, wie öfter, ihm das Geforderte zu geben, sich ihm unterzuordnen. Das machte den launischen und ungehaltenen Kaiser stinckesauer. Seine Berater waren der Meinung, er solle es mit Verhandlungen versuchen, aber er ist wütend und lehnt jegliches Nachgeben ab. Er ließ Truppen ausheben und belagerte die Stadt. Die Stadt schloss alle ihre Tore.

Die Städte und Dörfer um Ulm, die zu Ulm gehörten, und es waren nicht wenige, Ulm war eine reiche, freie Reichsstadt, wurde mit Nürnberg in einem Atemzug genannt, sie war stolz und reformiert, das ärgerte den Kaiser zusätzlich, diese Ulmer Gemeinden, die vor den Stadtmauern um Ulm herum lagen, wurden von den kaiserlichen Truppen vor die Alternative gestellt, entweder ihre jungen Männer zum Kriegsdienste abzustellen oder gebrandschatzt und geplündert zu werden.

So kam der Sohn eines Tuchhändlers aus Laupheim, Baptist Ulrich Keppler, in die kaiserliche Armee, ihm wurde eine viel zu große, bereits getragene Uniform verpasst, er wurde vorerst als Kanonenkugelträger eingesetzt, alsbald aber als Kanonier verwendet. Seine Soldatenkameraden waren entweder angeheuerte Söldner oder Zwangausgehobene und hatten hinter den Mauern, in Ulm, Freunde und Verwandte.
Unseren 19-jährigen Baptist Ulrich Keppler traf es besonders bitter. Seine Verlobte, die Tochter des Ulmer Tuchhändlers Hans Ulrich Rinniger, seine Kreszentia war in Ulm eingeschlossen, das er nun beschießen sollte.

Jetzt darf man sich aber eine solche Belagerung nicht so vorstellen, dass sie hermetisch, ohne Lücken, abgeschlossen war, die Mauern und Tore waren undicht und durchlässig, so erfuhr die Kreszentia genau, wo ihr Ulrich bei seiner Kanone stand, stehen musste und wo in Ulm die von ihm abgeschossenen Kanonenkugeln herumlagen.

Manchmal schaute sie die verhassten, gefährlichen Kugeln ganz verliebt an, denn sie meinte genau zu spüren, zu erkennen, welche er in der Hand gehalten hatte und wie Leid es ihm tat, dass er diese schweren Kugeln zu ihr schießen musste.

Eines Tages, sie schaute wieder eine der Kugeln ganz intensiv an, da sah sie, dass in dieser Kugel in einem Loch, ganz tief innen, ein kleiner Zettel steckte, sie schlich sich unauffällig zu der Kugel und in dem Moment, wo sie von niemandem gesehen ward, zog sie den Zettel heraus und ihr Wunsch erfüllte sich, es war eine Nachricht von ihm an sie, eine Liebesnachricht, ein Brief voll Wärme und Herzeleid.
Sie rannte vor Aufregung und Begeisterung auf die westliche Stadtmauer, vor der er stationiert war. Kein Soldat konnte sie zurückhalten, sie rannte auf den höchsten Punkt, winkte mit ihrem Kopftuch wild hin und her, juchzte, schrie, dass sich das ganze feindliche Heer vor der Stadt fragte, was denn da in Ulm vor sich gehe.

Ulrich, der sie sah, lächelte in sich hinein, schrieb etwas auf einen neuen Zettel, steckte diesen tief in ein Kanonenkugelloch, stopfte die Kugel in die Kanone und zündete die Lunte an. Es krachte und die Kugel flog über die Stadtmauer, Kreszentia rannte zu ihr und nahm die Kugel mitsamt der Nachricht mit nach Hause. (Es ist die Kugel, die hier zu sehen ist.)

Diese Geschichte ereignete sich Mitte September und bis Ende Oktober schoss Ulrich täglich eine Kanonenkugel mit einer Nachricht in die Stadt. Es war in der damaligen Zeit Brauch, dass jeglicher Krieg oder eine Belagerung bei Wintereinbruch abgebrochen wurde, so dass Ende Oktober die kaiserlichen Truppen unverrichteter Dinge abzogen. Kein Mensch kam zu Schaden, so etwas Ähnliches passierte auch einmal in Hornberg, aber das ist eine andere Geschichte.

Dem Kaiser war inzwischen sowieso die Lust an den widerspenstigen Ulmern vergangen, er regte sich inzwischen über etwas anderes maßlos auf, sollten doch die Ulmer bleiben, wo der Pfeffer wächst, er wusste zwar nicht, wo dieser wächst, aber das interessierte ihn auch nicht.

Im Frühjahr des kommenden Jahres heiratete Kreszentia ihren Ulrich, und 6 Kinder entsprangen dieser glücklichen Verbindung.

1951 bei den Abrissarbeiten eines Bürgerhauses infolge der verheerenden Bombardierung Ulms im zweiten Weltkrieg wurde die Kanonenkugel der Kreszentia gefunden und dem Ulmer Stadtmuseum übergeben.


Literatur:
Gerhard Überle, Kuriose Geschichten von früher, Augburg 1954
Johann Schuß,
Von Kugeln, die fliegen und berichten, Stuttgart, 1995
Margarete Sturm,
Wenn Liebe über Mauern fliegt, Gedichte, Ulm, 2006



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