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ein havlingDas Geschlecht des Havlings oder
Die Organisierung des Geschlechterlebens

Für Lars Wahlstöm

 

Die Gattung des Havlings bevölkerte vor abermillionen Jahren die Erde und ist am häufigsten im Nordteil der Halbkugel nachzuweisen, besonders an der Südspitze von Gotland. In der Nähe des Fischerdorfes Havlingen, vom dem der Havling seinen Namen hat, sind am Meeressaum ständig neu angespülte Versteinerungen dieses Urtieres zu finden. Die heutige Ostsee war, als die Kontinentalplatten anfingen auseinander zu driften, schon ziemlich stabil ausgebildet, so dass nur noch eine relativ kleine Drehung, nach rechts oben, stattfand und die sich dort befindlichen Fossilien sich sehr gut erhielten.

Der Lebensraum des Havlings, dieses Brückentieres zwischen Amphibien und Reptilien, waren feuchtwarme Sümpfe. Dort hauste er, je nach Ausprägung, im Wasser und/oder auf feuchten Bänken. Das Aussehen eines Havlings war für unsere heutigen Vorstellungen sonderbar. Er war, je nach Art, heute zählt man ca. 200 Arten zu dieser Gattung, 50cm bis 4m groß. Er war ein Kriechtier und hatte ein sehr buntes Schuppenkleid.

Man hätte ihn im ersten Moment, bei unaufmerksamen Betrachten, für einen Vogel halten können, aber bei näherem Hinsehen hätte man bemerkt, dass seine vielfarbig papageienhaften Federn raffinierte, hoch ausgebildete Schuppen sind, die ihn panzerartig umgaben.

Die Landschaft, den Lebensraum des Havlings muss man sich als einen bunt wuchernden Urwald vorstellen. Überall wuchsen Farne in den verschiedensten und grellsten Farben, der Bärlapp beschattete mit seinen über 30 Meter hohen Gipfeln alles. Die unterschiedlichsten Pflanzen sprossen aus allen Ritzen und Kanten, und wo sich Pflanzen nicht ansiedeln konnten, weil der Platz zu unwirtlich war, siedelte sich farbig blühendes Moos an und quoll aus jeder Ecke. Dort in dieser farbenfrohen Umgebung, gut getarnt durch seinen bunten schuppenartigen Panzer, lebte der Havling und ernährte sich vegetarisch. Der ganzen Gattung des Havlings war eines gemeinsam: Sie waren echte zweigeschlechtliche Lebewesen, entwickelt durch Selbstbefruchtung. Der Havling war der letzte Zwischenschritt zu der heute allgemein bekannten und gewohnten Geschlechterteilung. Die Evolution entwarf, nachdem sie das Leben auf der Erde ermöglichte, zuerst einmal amorphe Wesen, die sich durch ungeschlechtliche Fortpflanzung vermehrten. Aus einer diploiden Zelle, die sich teilte, wurden zwei neue identische. Diese Lebensform vermehrte sich und vermehrte sich und vermehrte sich, und immer waren es die gleichen identischen Zellen. Abermilliarden gleiche Gleichheiten existierten und es wurde bald klar, dass dies evolutionistisch relativ einfältig und öde war. So kam die Meiose. Das heißt eine diploide Zelle entwickelt vier haploide Tochterzellen und aus deren Vereinigung entsteht wieder ein diploider Kern, der aber diesmal anders entwickelt ist als die Ausgangszelle. So konnten nun verschiedene Gattungen von Lebensformen und Arten in Form von Pflanzen, Tieren etc. entstehen. Die Vermehrung war eine Selbstbefruchtung.

Die Arten befruchteten sich selbst, entwickelten sich aus sich selbst heraus. Dass sich die Gattungen oder Arten miteinander oder untereinander paarten, war nicht gewollt und kam daher nicht vor. Es funktionierte auch nicht. Bei dieser Selbstbefruchtung war jede Existenz mit sich selbst im Einklang. Evolutionistisch gesehen steckte darin aber ein gravierender Nachteil: Die Entwicklung schritt zwar sehr harmonisch, aber sehr langsam und willkürlich voran, denn die Befruchtung konnte von jeder Lebensform selbst gesteuert werden, das heißt eine Form autoregulierender Empfängnisverhütung machte sich immer mehr breit. Die Population stagnierte. Eine Befruchtungstrennung setzte sich deshalb durch, so dass zwei voneinander getrennte Wesen nötig waren, um eine Befruchtung zu ereichen. Das Zwiegeschlecht war geboren.

Diese Zwiegeschlechtler waren zeitweise das eine und dann wieder das andere Geschlecht. Diese Lebewesen konnten je nach Wille, je nach Lust und Laune Mann oder Frau, aber nie beides zur gleichen Zeit sein. Die Entscheidung, welches Geschlecht sie im Moment der Paarung annehmen, entschieden sie selbst vor ihrem Tun. Der Havling ist eines der typischen und verbreitesten Lebewesen dieser Zwiegechlechtler, dieser frühen geschlechtergeteilten Gattung. Er hatte beide Geschlechter voll entwickelt, konnte seinen Geschlechtsapparat entweder einstülpen, wobei sich dann eine volle Empfangsfähigkeit einstellte, oder durch Ausstülpung die Rolle des Erzeugers übernehmen. Wenn sich zwei Havlinge zur Paarung trafen, mussten sie sich entscheiden, wer welchen Part übernimmt und dies führte regelmäßig zu Streitereien, Missverständnissen und Auseindersetzungen. Es muss immer wieder fürchterliche Geschlechterkämpfe gegeben haben, so dass sich dann evolutionistisch eine vollkommene Geschlechterteilung, so wie wir sie heute kennen, durchgesetzt hat. Ob dies evolutionistisch ein zufriedenstellender Zustand ist, werden wir erst in einigen Millionen Jahren wissen .

Anmerkungen:

Einige Forscher des Geschlechtslebens im Paradies gehen davon aus, dass der Paradiesgedanke eine anthropologische Rückerinnerung an die Zeit der Zwiegeschlechter sei, wobei man sich das Paradies nicht als einen Raum des reinen Glücks vorzustellen habe, sondern als Labor eines möglichen zufriedenen Lebens.
Für ähnlich denkende Anthropologen steht auch die Vorstellung Platons, dass die Menschen ehemals Eins waren und nach ihrer Trennung immer nur zu diesem einen Eins zurückstreben, für eine Rückbesinnung auf die Zeit des Havlings, wo beide in einem Eins vereinigt waren, wo beides möglich war und zur Verfügung stand.
In einer anderen Mythologie wird erzählt, dass sich eine Göttin und ein Gott darum stritten, wer von den Geschlechtern mehr Lust empfände und als sie sich nicht einigen konnten, suchten sie den Weisen Hermaphroditos auf. Dieser sollte entscheiden. Auch bei diesem Mythos gehen viele von einer Rückerinnerung aus, Hermaphroditos als ein Havling also. So sind dies alles Rückerinnungen ähnlich der Tränen, die wir salzig vergießen und die uns so daran erinnern, ehemals dem Meer entstiegen zu sein. Den Streit der Gottheiten entschied Hermaphroditos übrigens für die Frau.