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vom BasiliskWie Sigmund Freud vom Basilisk Abstand nahm
oder
Über Basiliskmus und Narzissmus


Am 16. 12. 1908 schrieb Sigmund Freud an seinen Berliner Stadthalter und Vorsitzenden der Berliner Psychoanalytischen Vereinigung, Karl Abraham in Berlin: „....bei der Kur“, er bezog sich auf die psycho-analytische Behandlung, „eines narzisstisch Zurückgezogenen muss beachtet werden, dass er nicht plötzlich zu sehr gespiegelt wird. Eine einfache Spiegelung hat für diese Menschen fatale Folgen, nicht nur, dass der Patient die Kur sofort abbricht, nein, oft fühlt er sich selbst als aufgelöst. Sorgfalt und höchste Zurückhaltung sind da angebracht. ... Wenn man die Methode der Spiegelung verwendet, muss sie sehr niedrig dosiert eingesetzt werden, um nicht einen MM-Effekt zu riskieren. ...“ Um diese Zeilen ranken sich seit je und je die wildesten Gerüchte. Verschiedenste Deutungen und Vermutungen umranken den MM-Effekt.

Ein neu aufgefundener Brief Sigmund Freuds vom 4.6.1903 an den Heimatpfleger Braun zu Memmingen (MM) lüftet nun das Geheimnis.

Wien IX, Berggasse 19, 4. Juni 1903
Verehrter Herr Braun,
mit Bewunderung habe ich gelesen, welch fundiertes Wissen Sie über den Basilisk Ihr Eigen nennen dürfen. Ihr „Dracha henterm Engel“ ist der Mosaikstein, der mir fehlte, um ein immer wieder beobachtetes Krankheitsbild meiner Patienten zu beschreiben. Ich erwäge, das Erscheinungsbild dieser Neurose, falls es sich als eigenständiges Bild erkennen lässt, „Basiliskmus“ zu nennen.
Ihre Beschreibung der für den Delinquenten befreienden Spieglung Ihres Memminger Basilisken, der in einer pränatalen Lebensenttäuschung einsam in der Zurückgezogenheit lebt, um nie wieder das Erlittene zu erleiden und daher seine Umwelt als nur ihm dienlich sich aneignet und von ihr bewundert werden will, aber nicht fähig ist selbst zu dieser beizutragen. Dieser pathogenen Eigenschaft mit einer Spieglung zu begegnen scheint mir vorzüglich geeignet, um die Ängste der selbsterwählten Einsamkeit zu heilen. Die zu dieser Perversion gehörende ungehemmte Aggressivität der Triebkräfte scheint mir auf den Baselisken eher zuzutreffen als auf den sanften sich im wässerigen Spiegelbild selbst betrachtenden Narziss.
Noch einmal vielen Dank für Ihre große Hilfe bei der Suche nach dem Wesen des Basilisken. Gerne nähme ich Ihre freundliche Einladung an, Ihre sicher sehr schöne und ehrwürdige ehemalige Reichsstadt Memmingen zu besuchen, böte sich mir in der nächsten Zeit eine Gelegenheit, in diese Gegend zu reisen. Die Arbeit in Wien beansprucht bedauerlicherweise meine ständige Anwesenheit.

In vorzüglicher Hochachtung und Dank
Ihr ergebener Freud

Was und wer aber ist ein Basilisk, der Freud so sehr faszinierte?

Der Basilisk taucht 600 Jahre vor unserer Zeitrechnung urkundlich erstmals auf. Die ältesten Beschreibungen beziehen sich auf Vorkommnisse in Nordafrika. Es gibt Hinweise, dass es sich um die Tropfen des Blutes des Medusenkopfes handelt, das herunter tropfte, als Perseus mit dem abgeschlagenen Kopf, unsichtbar für seine Verfolgerinnen unter dem Nymphenhelm, über die Wüste Libyens flog. Der Basilisk wird dort als besonders giftig beschrieben, als ein Wesen, das mit dem Blick tötet, als eine Schlange mit einer Krone auf dem Kopf.

Die Kreuzritter brachten den Basilisken mit nach Mitteleuropa. Hier passte er sich in seinem Aussehen und seinem Wirken den Sitten und Gewohnheiten der hier lebenden Menschen an.

Die Größe eines Basilisken wird mit zwischen 15 cm und 50 cm angegeben und sein Gewicht mit 1,5 kg bis zu 10 kg. Er ist nicht allzu groß, er ist kein Drache, wie oft vermutet, er ist ein kleines, aber wirksames Wesen. Er hat, in Europa, einen Schlangenschwanz, einen Hahnenkopf, Hahnenbeine und Flügel, mit denen er nicht fliegen kann. Er ist insgesamt sehr immobil.

Die Mystikerin Hildegard von Bingen beschäftigte sich ausführlich mit ihm, ihre Beschreibung des Basilisken setzte Maßstäbe.

„Ein alter Hahn legt ein Ei. - Eine Kröte fühlt sich befruchtet und sieht dies Ei. - Sie wird dies Ei heftig lieben und umhegen. - Diese Kröte wird nun dies Ei mit ihren eigenen Eiern bebrüten. - Ihre eigenen Eier sterben neben dem Basiliskenei. - Nun, nur noch mit einem Ei, steigert sich die Liebe der Kröte zum Hahnenei. - Sie liebt dies übrig gebliebene Ei, wie sie noch nie je ihre eigenen Eier geliebt hat. - Wenn dann die Zeit gekommen, erkennt sie ihre unrechte Leidenschaft und flieht, bevor die Brut schlüpft.“
Welch trauriges Schicksal. Pränatal abgöttisch geliebt, dann allein gelassen, einsam, ohne ein Gegenüber. Nun sitzt er, verlassen, angstvoll in einem Loch, in feuchten Kellern, in Zisternen, allein, immer darauf bedacht, nicht gesehen zu werden, aber mit der Sehnsucht, von allen bestaunt und bewundert zu werden, immer in höchster Vorsicht und Aufmerksamkeit, damit ihm nie mehr eine Enttäuschung geschähe, sich nie mehr das Verlassensein wiederhole.

Die eigentliche Tragik des Basilisken ist, dass er den Grund seines Dramas nicht einmal kennt, kennen kann, er weiß von ihm nichts, da er weder Vater und Mutter, den alten Hahn, noch seine Stiefmutter, die Kröte, je kennen gelernt hat. Er ahnt tief im Unbewussten seine einsame Verzweiflung, handelt aus diesen tiefen Abgründen heraus. Einen jeden, der ihm zu nahe kommt, schaut er so vergiftet an, dass jener augenblicklich, durch den Blick tödlich verletzt, zu Boden sinkt.

Hier sind die Bezüge zum Narzissten sehr nah, fast deckungsgleich. Auch er, der Narzisst, ward frühkindlich enttäuscht, zieht sich in sich zurück, sein Liebesbegehren ist nur noch auf sich selbst gerichtet, jedem begehrenden Objekt geht er aus dem Weg, verletzt die ihm Nahekommenden, leidet einsam in seiner Beziehungsangst. Sprachliche Bezüge zwischen beiden gib es immens viele, werden doch auch Menschen oft des „Bösen Blickes“ angeklagt, des „giftigen Blicks“, „Der schaut aber böse“, „wenn Blicke töten könnten“, „das tödliche Geschau“.

Dass Sigmund Freud als Wiener den Basilisk gekannt hat, ist sicher, da eine Basilisk-Erzählung in Wien sehr bekannt ist. In der Schönlaterngassse 7, in Wien, eine Haustafel erinnert heute an den Vorfall, raubte am 26. Juni 1212 ein Basilisk dem Lehrjungen Hans des Bäckermeisters und Hausbesitzers Martin Garbibl das Bewusstsein. Er starb nicht, eine große Seltenheit, weshalb man auch lange zweifelte, ob seine Geschichte überhaupt stimmen könne. Aber die Berichte, die er vor einem ehrwürdigen Untersuchungsgremium abgab, überzeugten. Von ihm haben wir einen detailreichen Bericht über das Aussehen eines Basilisken. Fast alle alten Städte Europas kennen ähnliche Geschichten von Basilisken.

Noch heute wird in Basel an jedem 4. August des 4. August 1474 gedacht, an dem ein elfjähriger Hahn kraft eines Gerichtsbeschlusses exekutiert wurde, weil er ein Ei legte. Bei der Obduktion fand man noch zwei Basiliskeneier in ihm. Er wurde samt seinen Eiern verbrannt. Basel hat seinen Namen von einem Basilisken. Das Stadtwappen Basels wird von einen Basilisken getragen, der während der Stadtgründung in dieser Gegend sein Unwesen trieb.

Das, was Freud naturgemäß am meisten interessierte war, wie kann man einen Basilisken wieder los werden, wie kann ein vom Narzissmus geplagter therapiert werden.
Eine verbreitete und wirksame Methode war, dem Basilisken einen Spiegel vorzuhalten, in dem er sich selbst sah und sich selbst dadurch tötete. Von Alexander dem Großen wird berichtet, dass seine Soldaten ein von Basilisken durchseuchtes Tal durchqueren mussten. Alexander befahl, dass alle ihre Schilder so blank putzen mussten, dass sie alles spiegelten. Eng aneinander gedrängt, von allen Seiten mit den Spiegeln gesichert, durchquerte er mit seinen Soldaten nun sicher das Tal.

In Memmingen bekam ein zum Gehenkt werden Verurteilter seine Freiheit, weil er sein Leben beim Vertreiben eines Basilisken einsetzte. Es war ein Handel. Er umgab sich vollkommen mit Spiegeln und stieg in den von einem Basilisken bewohnten Keller ein. Der Basilisk infizierte sich mit seinem eigenen Blick und starb auf der Stelle, der Verurteilte war ein freier Mann. Von gleichen Basiliskentötungen durch Spiegel wird aus vielen Städten berichtet, so aus Warschau, Zwickau, Wien, Magdeburg oder Basel. Diese Spiegelung meint Freud in seinem Brief an Karl Abraham.

Warum Freud gerade an der Memminger Basiliskensage so interessiert war, ist nicht bekannt. Es existiert nur der vor kurzem gefundene Brief, und warum Sigmund Freud dann doch den Begriff des Narzissmus behielt und nicht den Basiliskmus einführte, ist sicher der Tatsache geschuldet, dass er ein großer Freund der griechischen Mythenwelt war und dort viel vorweggenommen sah, aber sicher auch, weil die Theorie des Narzissmus schon zu weit fortgeschritten war, um problemlos durch den Basiliskmus ersetzt zu werden.

 

Literatur:
Sammer M.: Der Basilisk - Zur Natur- und Bedeutungsgeschichte eines Fabeltieres im Abendland, München 1998
Freud / Abraham: Briefe 1907 - 1926, Frankfurt a. Main
Himmel H.: Selbstliebe im Tierreich, Stuttgart, 1957
Dahl, G.: Primärer Narzissmus und inneres Objekt, in: PSYCHE 55, Stuttgart 2001
Gernhart, M.: Vom Finden von Briefen, Berlin 2009
Freud, S.: Zur Einführung des Narzissmus, Leipzig 1924.
Hammer L.: Neubewertung von Freuds Narzissmusbegriff in: Bewegung 67, Hamburg 2003