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das porträtÜber ein Porträt
Ausschnitt aus einem Gespräch, in dem Roland Albrecht Anton Arzt über ein 1985 gemaltes Porträt von Sigurd Wendland erzählt

Roland Albrecht: „… es muss 1985 gewesen sein, im Frühjahr glaube ich, wir trafen uns auf einem Konzert der damals bekannten „Drei Tornados“, auf dem UFA Gelände, das war das erste und das letzte Mal, dass ich in dem dortigen Veranstaltungssaal war. Die „Drei Tornados“ erlebte ich zum ersten Mal im Frühjahr 1977, bei der legendären Hausbesetzung der Feuerwache in der Reichenbergerstraße, ich stand da mitten unter den vielen Besetzern und Unterstützern, plötzlich drängten sich drei auffällig gekleidete Männer in das Menschenknäulel und fingen mit einer Ziehharmonika und anderen Instrumenten zu spielen an. Sie spielten so Kasperle-Nummern zum Lachen auf Kosten des damals vermeintlich politischen Feindes und besonders machten sie sich über die Polizei lustig. Alle schlugen sich auf die Schenkel, grölten und klatschten, es war eine Mordsstimmung. Ich weiß das noch so genau, weil ich dort, bei der Besetzung der Feuerwache, meine wichtige und langjährige Freundin Ruth kennenlernte.

Dort im UFA Gelände, im alternativen Kulturzentrum, fragte mich plötzlich Sigurd, ob ich ihm nicht Modell stehen wolle, für ein Porträt. Ich war mehr als verwundert, „warum“, dachte ich mir, „warum mich porträtieren, ich gehöre ja nun wirklich nicht zu denen, die er immer porträtiert“. Sigurd malte damals eine bestimmte Szene in Berlin, die es in dieser Form vermutlich nur in Berlin gab. Es war die Zeit lange vor der Wende, Westberlin war eine Insel, auf der viel Exotisches existierte und wo sich alle sehr wichtig nahmen, auch ich meinte, dass schon die Tatsache, dass ich in Westberlin wohne, mich wichtig macht, dass dies schon etwas ganz Besonders sei, weder West- noch Ost-Deutschland, das wollte man partout nicht, das lehnte man ab, im Ausland sagten damals die meisten, wenn man sie fragte, wo sie herkamen, aus Berlin, Berlin-West, denn man kam ja nicht aus Deutschland sondern eben aus Berlin-West, und Sigurd malte damals die Wichtigsten der Wichtigen der Stadt, alle Wichtlinge sozusagen, er war so etwas wie ein ölmalender Chronist der damaligen Zeit. Würde ich heute die Zeit von damals darstellen, zum Beispiel in einer Ausstellung, ich würde die vielen öligen Porträts als Grundlage nehmen und an Hand derer die Geschichte Westberlins der 70iger bis 90iger Jahre des vergangenen Jahrhunderts erzählen. Komisch, dass das noch niemand mit den Gemälden gemacht hat.

Ich fühlte mich zwar, wie schon gesagt, auch als ein Wichtiger, aber in einer Reihe der Überwichtigen, die Sigurd normalerweise malte, fühlte ich mich ganz unwichtig, ich war in meinen Augen ganz normal wichtig und die, die er verölte, waren die besonders Wichtigen, die wichtigsten Wichtigen, so wichtig, dass sie in seiner Galerie, in seiner Reihe der bedeutenden Bedeutsamkeiten, aufgenommen wurden.

Sigurd lernte ich über seine Frau Monika kennen und die kannte ich über den Buchladen „Das Politische Buch“, ein Buchladen Kollektiv in der Lietzenburger Straße. Über diese Buchladen-Kollektive der damaligen Zeit könnte man auch ein Buch schreiben, auf jeden Fall kaufte ich in diesem Buchladen immer meine Bücher, und einmal hatte ich einen ganz besonderen Wunsch: Ein Buch mit sehr vielen Seiten sollte es sein, das ganz wenig wiegt, interessant zu lesen, natürlich musste es politisch sein und einen gesellschaftlichen Gegenentwurf zum Thema haben. In diesem Sinne ein leichtes aber ein schwergewichtiges Buch. Der Grund war, ich wollte mit der Ruth 5 Wochen auf eine Bergwanderung und da ich in dieser Zeit alles im Rucksack tragen würde, musste das Buch viele Seiten haben und leicht sein. Das war dann eine Herausforderung. Monika, mit der ich damals erstmals sprach, das erste Mal mich traute sie anzusprechen, fand meinen Wunsch etwas merkwürdig aber auch nachvollziehbar und so suchten wir nun zusammen in ihrem Buchladen nach leichten, dicken, lang zu lesenden, politischen Büchern und wurden bei einem dreibändigen Schuber fündig. Über 1.300 Leichtdruckseiten, ein Russischer Autor, G.I.Gurdjieff, „Beelzebubs Erzählungen an seinen Enkel. Eine objektiv unparteiische Kritik des Lebens des Menschen“ ein Teil seines Gesamtwerkes „All und Alles“. Ein merkwürdiger Heiliger, ein Mystiker, ich weiß noch genau, ich las ihn bei der Wanderung mit rasant abnehmender Begeisterung, aber ich stempelte das Buch mit allen Hüttenstempeln der Hütten, auf denen wir waren, voll. Heute ist es ein Dokument der Wanderung. Über dieses Buch lernte ich die Monika kennen, ich machte damals gerade eine Heilpraktikerausbildung, sie wurde eine der frühen Patientinnen von mir, eine Probepatientin, ein Versuchskaninchen. Bei ihr zuhause sah ich dann Postkarten mit Agitprop Bildern, die ich kannte und fragte sie, ob sie den Maler kenne, und sie meinte, das sei Sigurd Wendland, ihr Mann, und nun fragte mich dieser, ob er mich malen kann, ob ich ihm Modell stehen könnte.

Nachdem ich ihn dann kennen lernte, half ich ihm bei seinem großen Wandbild an dem Hochbunker in der Palaststraße, neben dem ehemaligen, aus verschiedenen sich widersprechenden Gründen berühmten, Sportpalast mit seiner vielschichtigen Vergangenheit, heute steht stattdessen der aus anderen Gründen ebenfalls berühmte Sozialpalast dort, diesen Sozialbauwohnbunker hat man um, beziehungsweise über einen, als unsprengbar eingestuften Hoch-Bunker gebaut, und Sigurd malte auf die Fassade des Bunkers ein Wandbild, ein Ruinen-Foto von 1945, wie die Gegend nach dem Krieg aussah, ein Mahnmalbild. Ich stand mit ihm auf dem Gerüst und malte, da ich damals wie heute nicht malen konnte und kann, die Flächen, fühlte mich als Spezialist für das Ausmalen der von ihm vorgezeichneten großen Flächen. Sigurd malte die Schattierungen, das Feine, die Tiefen, die Grauverläufe, eben das, was ein Bild zu einen Bild macht, ich malte den weißen Himmel.

Auf dem Gerüst erfuhr Sigurd die Bestätigung von seiner Frau, die gerade vom Arzt kam, dass sie mit dem ersten Kind schwanger war.
Später, nachdem das Wandbild fertig war, das bis heute noch zu sehen ist und gerade von einem wunderschönen, im Herbst rot werdenden wilder Wein? zugewachsen wird, dort auf dem Gerüst lernten wir uns durch die gemeinsame Arbeit besser kennen und nun wollte er mich malen. „Nun gut“ dachte ich mir, „wenn er es gerne machen will. Er wird schon wissen, warum, und warum sollte ich mich zieren, es ist ja eine Ehre, von ihm gemalt, in Öl, ölveredelt zu werden; das passiert nicht jedem“.

Wir trafen uns dann zu einem ersten Modell-Sitzen, er machte ganz viele Fotos von mir, so viele, bis ich nicht mehr posierte. Ich fragte mich ständig, ob es einen Unterschied gibt, ob ich einatme oder ausatme, wenn er mich abbildet. Ob er mich wohl in der Einatmungsphase oder in der Ausatmungsphase malen wird? Während der Fotositzung erzählte Sigurd mir, dass er mich mit dem König Ludwig abbilden möchte. König Ludwig, König von Bayern? Warum das? Warum mit dem König Ludwig?

Aber nicht nur der König Ludwig sollte auf dem Gemälde sein, auch Richard Wagner, Friedrich Nietzsche und Adolf Hitler. Die alle mit mir zusammen auf einem Bild!? Damit war ich überhaupt nicht einverstanden. Nein. Das ging gar nicht, dafür stehe ich nicht zur Verfügung, das will ich nicht, ich verstand und verstehe es bis heute nicht, was die da alle miteinander zu tun haben und ich mit denen, was soll ich mit denen und was wollen die mit mir, wir passen nicht zusammen, aber schon gar nicht; außer mit dem König Ludwig, den konnte ich akzeptieren, nicht nur weil er den gleichen Haaransatz hat wie ich, er ist auch Teil meiner Geschichte.

Sigurd akzeptierte das dann, nach langen Diskussionen, aber er wollte dann wenigstens dem König Ludwig ein Hitlerbärtchen anmalen, aufmalen. Da protestierte ich erst recht, ein Hitlerbärtchen tragender König Ludwig mit mir auf einem Bild, das konnte ich meiner Mutter nicht antun, nie hätte ich meiner Mutter das Bild zeigen können, hätte ihr nicht stolz mich in Öl verewigt präsentieren können. Ohne Bärtchen, nur er, der König, allein, einsam wie er immer war, er in seiner ganzen falschen spätbarocken Pracht und Herrlichkeit, dann kann ich mit auf das Bild, dann passen wir zusammen.

Meine Mutter liebte ihn, den Märchenkönig, sie erzählte immer von ihm, wie er in der Nacht, bei Dunkelheit, mit seinem Hofstaat, in einer schwarz-goldenen mit Glocken behangenen Kutsche, laut dröhnend durch Bayern gefahren sei, wie die Bauern hinter den Fenstern, durch die leicht zur Seite geschobenen Vorhänge schauten, erschauerten und sich zuraunten, „da fährt er wieder unser König, immer nur Nachts wenn es dunkel ist, ohne Schlaf, immer unterwegs “, bekreuzigten sich in einer traurigen Art und Weise, stolz, dass sie zu den Auserwählen gehörten, die ihn, den Geliebten, mit unglaublichen Sagen umgebenen König nächtlings sehen durften.

Meine Mutter erzählte von den schönsten Schlössern, die der König erbaut hatte, dass er ein leidender, unglücklicher Regent gewesen sei, und weil er so gut war und keine Kriege führen, nur Märchenschlösser bauen wollte, man ihm das übel nahm, ihm böse mitspielte, ihn für unmündig erklärte und dann im Starnberger See ertränkte, ermordete, ihm das Leben nahm.

Meine Mutter wuchs bei ihrer Großmutter, meiner Urgroßmutter, im Zimmer auf, und diese hatte ein Porträt des König Ludwig neben dem Herrgottswinkel hängen gehabt und manchmal, erzählte meine Mutter mir immer wieder, hat ihre Urgroßmutter, wenn es dunkel war, es gab damals noch kein elektrisches Licht, eine Kerze vor dem Bild des König Ludwig angezündet, sie, meine Mutter, sollte das Bild lange anschauen, ganz lange und nur das Bild, dann sollte sie die Augen schließen, die Großmutter löschte die Kerze und nun sollte meine Mutter wieder die Augen öffnen und dann sah sie mitten im stockdunklen Raum: Den König; den König, leibhaftig, im Raum schwebend. Meine Urgroßmutter erklärte dann meiner Mutter, dass man daran sehen könne, dass der König immer da sei, immer unter uns, auch wenn er vermeintlich tot, von Häschern ermordet sei, dass man aber sein Bild dabei nicht habe töten können.

Diese Erzählungen, von Kind an gehört, verbinden mich bis heute mit dem König, daher konnte ich akzeptieren, mit dem König Ludwig zusammen auf einem Ölgemälde zu erscheinen. Als das Bild fertig war und ich es meiner Mutter zeigte, war sie stolz, aber es war ihr auch unheimlich, ihr Sohn mit dem König, in Öl, auf Leinwand, ein echtes Gemälde.

Später hing, eine Zeit lang, das Bild bei mir zuhause in meiner Küche und nach einer oder zwei Wochen fiel ich mir so auf die Nerven, dass ich mir ständig zuschaute und dann auch noch der König im Rücken, der mir über die Schulter schaute, wie ich mich selbst anschaute, bei jedem Frühstück, sobald ich meine Küche betrat, es war nicht mehr auszuhalten, so dass ich das Bild mit einem Bettlaken zuhängte und vor mir und dem König meine Ruhe hatte.

Was mich aber bis heute nicht ruhen lässt ist, ob der König und ich nun in der Einatmungs- oder aber in der Ausatmungsphase, wie es bis in das 12. Jh. üblich gewesen war, gemalt wurden.

Einige Jahre später malte Sigurd fast nur noch Akte und ich bin heute froh, dass ich nicht in dieser nackigen Phase gemalt wurde, denn die Vorstellung, nackt mit dem König, ich nackt vor dem König Ludwig, zum Schluss auch noch der König nackt, das würde ja überhaupt nicht gehen, wie würde das denn aussehen? So bin ich froh, dass ich noch in der Bekleidungsphase angezogen gemalt wurde. . . . “


Literatur
Hans Niemer, Das Porträt in mir, Berlin-Kreuzberg, 1984
Susi Kimmer, Das Nackte in Antlitz, West-Berlin, 1979
Karl Meier, Das Abbild in der Malerei, Berlin, 1987
Gudrun Milka, Das nachhaltige Porträt, Berlin 1985