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Weißenfels

Plötzlich sehe ich ein Schild an einem Haus: „Geleitshaus“. Die Tafel informiert, dass der Leichnam des schwedischen Königs Gustav II. Adolf, nachdem der auf dem Schlachtfeld bei Lützen 1632 getötet wurde, hier aufgebahrt und zur Einbalsamierung obduziert wurde. Jetzt fiel mir ein, dass vor kurzem ein schwedischer Freund mir ganz begeistert erzählte, dass in Sachsen-Anhalt ein Blutfleck des schwedischen Königs zu besichtigen sei. Während der Obduktion sei Blut an die Wand gespritzt und bis heute erhalten blieb. Das kann ja dann nur hier gewesen sein.

Ich glaube einmal gelesen zu haben, dass es immer wieder Versuche gibt, ein wenig Blut von dort zu entnehmen, um es genetisch zu untersuchen, bestimmen zu lassen. 2009 machte die Weißenfelser Bürgerin Josephine Kükenthal Rechte auf das Vermögen der schwedischen Krone geltend. Sie gab an, sie sei in der 14. Generation ein Nachkomme des schwedischen Königs Gustav II. Adolf. König Gustav II. Adolf, hätte, bevor er in die Schlacht zog, mit einer Frau aus der Stadt Weißenfels geschlafen, am anderem Tag fiel er auf dem nebligen Schlachtfeld bei Lützen. Sie sei zwar ein illegitimer Nachkomme, aber ein Nachkomme mit königlichem blauen Blut.
Ihre Aussage wurde von führenden Historikern durch eine Expertise unterstützt. Bei etlichen Herrschern der damaligen Zeit sei es durchaus Brauch gewesen, unmittelbar vor einer Schlacht mit einer Frau zu schlafen. Der vollzogene Geschlechtsakt sollte Kraft, Glück und Erfolg bringen. Einige Herrscher waren überzeugt, dass es eine Jungfrau sein müsse, dass das jungfräuliche Blut sie unverwundbar machen würde. Wenn sie trotzdem starben oder verletzt wurden, wurde regelmäßig den Frauen vorgeworfen, dass sie ihre Unschuld nur vorgespielt hätten. Der Nachweis ihrer Unschuld konnte naturgemäß nicht mehr erbracht werden. Der Fall des Königs Siegbert des Starken ist bekannt, wo nach seiner Beinverletzung in der Schlacht von Kräuzichfeld seine Jungfrau vom Hofmarschall gegen den Willen des Königs wegen vorgetäuschter Jungfräulichkeit angeklagt wurde. Bei einer Untersuchung durch den Leibarzt wurde ihre noch intakte Jungfräulichkeit festgestellt. Weil man die königliche Schwäche vor der Schlacht nicht öffentlich machen wollte, wurde der Vorfall geheim gehalten.

Auf jeden Fall verklagte 2009 Josephine Kükenthal aus Weißenfels den schwedischen Hof auf Auszahlung ihres zustehenden Erbes, samt der Zinsen und Zinseszinsen von 350 Jahren. Sie verlangte, dass ihre Gene mit dem königlichen Blut des Königs Gustav II. Adolf von der Wand des Geleitshauses abgeglichen werde. Da das Blut des Königs immer noch das Eigentum des schwedischen Hofes ist, verweigerte der Hof jegliche genetische Untersuchung. Sie taten alles als Unfug ab. Der „Republikanische Klub Schwedens“, eine Vereinigung, die für die Abschaffung des Königshauses plädiert, unterstützte die Josephine Kükenthal und reichte beim obersten Verfassungsgericht Klage ein. Das Königshaus lebe auf Kosten des Volkes, so sei es folgerichtig, dass das königliche Blut Volkseigentum sei. Das Gericht entschied negativ. Blut sei grundsätzlich nicht zu verstaatlichen, es sei juristisch immer an ein Individuum gekoppelt.
Historiker widersprachen dem Urteil und unterstützten einen viel weiter gehenden Antrag, der auf Wiedererschaffung des Königs Gustav II. Adolf hinaus lief. Aus dem DNA-Material sollte er wieder hergestellt werden, er sollte königlich geklont werden. Die Historiker hätten noch viele Fragen an ihn. Zum Beispiel, wie er es schaffte, sich als Retter des Protestantismus zu inszenieren, seinen Krieg als Religionskrieg auszugeben, ihn aber von den erzkatholischen Franzosen finanzieren zu lassen. Der ganze Krieg war ein Krieg um Macht. Weiterhin fragen sich die Historiker, wie es funktioniert, dass seit 350 Jahren das Blut an der Wand in Weißenfels, sowie sein blutiges Hemd, sein Wams, im Nationalmuseum in Stockholm von den protestantischen Schweden wie katholische Reliquien verehrt werden?
Auch dieser Antrag auf die Wiederherstellung König Gustav II. Adolfs wurde zurückgewiesen. Eine Wiederherstellung des Königs, ein Klonen des Königs sei ein zu starker Eingriff in dessen Persönlichkeitsrechte, so das Oberste Gericht.
Dabei wurde das böse Gerücht, dass seit hunderten von Jahren jedes Frühjahr ein Metzger den authentischen Blutfleck mit einem kleinen Eimer Schweineblut auffrische, nicht berücksichtigt. Welch Peinlichkeit könnte da erschaffen werden.

Als ich mich des Artikels auserinnert hatte, war ich schon wieder an der Saale und spürte Hunger. In Ermangelung von Alternativen wurde der Grieche auf dem von Betonplatten bedeckten Gelände bei meinem Hotel das Ziel meines Begehrens.
Irgendwie, irgendwo muss es einen zentralen Ausstatter von griechischen Lokalen geben. So sitze ich nun allein in dem gut besuchten Garten des „Griechen“, umgeben von hohen Hecken, mitten drin eine Palme und ein Springbrunnen, der wahrscheinlich griechische Gemütlichkeit verbreiten soll.
Um mich herum lauter schweigende Paare. An einem Tisch sitzen zwei Paare, die sich kreuzweise anschweigen. Ab und an hört man einen Satz, ein Wort. Es gibt keine Hinweise auf Gebärdensprache. Es muss heute der griechische Tag der schweigenden Paare sein, anders lässt sich das nicht erklären. Das Ganze hat für mich den Vorteil, dass ich nicht zuhören muss, nicht verstehen muss, was an den Tischen um mich geredet wird. Je länger ich dem Schweigen ausgesetzt bin, desto mehr fängt es an weh zu tun, fängt das Schweigen zu sprechen an. Es ist ein Sprechen des Körpers, der Augen, des Gesichtes, der Arme, alles plappert massiv, viel mehr sogar, als wenn sie laut sprechen würden. Zu viel nicht Gesagtes ist zu hören. Ist es das Schicksal von vielen Beziehungen, von Ehen, das Schweigen? Ein pragmatisches Schweigen, das nicht gebrochen werden darf, um keinen Dissens entstehen zu lassen. Der Abgrund wäre zu tief. Würde ein Wort zur Erschütterung führen und einen tödlichen Absturz auslösen?

Zum Glück kommt mein griechischer Salat, ich will darüber nicht länger nachdenken. Beim Bezahlen der obligatorische Ouzo, dann falle ich müde, erschöpft, nebenan im Hotelzimmer in den Schlaf.


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