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Rast in Köthen


Ich komme nach Köthen und setzte mich in ein Kaffee. Mein Fahrrad steht neben mir, ich sattle es nicht ab, binde es nicht an, ein treues Pferd, kein Drahtesel, ein drahtiges Pferd. Vor mir die Stadtkirche, daneben das Rathaus, Reste eines Wochenmarktes werden abgebaut, Hausfrauen schlendern mit vollen Einkauftaschen über den Platz, ich trinke einen Cappuccino, das dazu gehörende Croissant gab es nicht.
Plaudernde Frauen, ein Würstchenstand verkauft die letzten Rostbratwürste, ob sie lauwarm sind? Ich spüre die Müdigkeit meiner Beine.

Der Platz ist nicht sonderlich gemütlich, ich wünschte ihn mir interessanter und denke mir Johann Sebastian Bach herbei. Am 2. September 1721 sitzt er hier vor einem holländischen Raucherlokal auf einer Bank. Er pafftt an seiner langen Tonpfeife und trinkt einen sämigen Kaffee. Neben Johann Sebastian Bach sitzt der ehrenwerte Ratsherr und Kaufmann Julius Maria Walter. Dieser hat das metallene Emblem mit einer Palme an seinen Rock geheftet. Dies weist ihn als ehemaliges Mitglied der „Fruchtbringenden Gesellschaft“ aus. Diese erste deutsche Sprachakademie hat hier in Köthen ihren Sitz. Die „Fruchtbringende Gesellschaft“ hat sich zur Aufgabe gestellt, der Sprache „fruchtbringend“ zu dienen. Julius Maria Walter raucht aus einer kurzen Pfeife und schlürft sämigen Kakao.
Sie kennen sich gut und schätzen sich als Gesprächspartner. Gerade unterhalten sie sich über ein Klavierstück, das Bach zur Zeit komponiert. Die Sonne scheint wärmend auf die beiden Herren, sie fühlen sich wohl und so kommen beide während der Unterhaltung auf die Idee, dass man das Klavierstück doch wohltemperiert nennen könnte. J. M. Walter fragt J. S. Bach, warum er über das andere Musikstück, von dem er immer spricht, dass er es gerade einrichten würde, warum er immer von dem Brandenburgischen spricht, er sei doch hier in Anhalt? Die Antwort die J. S. Bach ihm gab, kann ich leider nicht verstehen, ein Auto fährt gerade laut knatternd vor mir vorbei, ist es auf dem Weg zur Werkstatt?

Nachdem das Auto vorbei ist, tauchen die beiden Herrn wieder auf, ich kann sie aber nicht mehr hören. Zwei Frauen mit Einkaufskörben gehen, laut über die Frisur einer andern lästernd, an mir vorbei. Sie gingen sicher auch am 2. September 1721 an den zwei Herren vorbei.
Das, was die beiden Herren Bach und Walter verwundert hätte und mit einem ungläubigen Kopfschütteln quittiert worden wäre, ist die Sparkasse an der Ecke mit dem stark frequentierten Geldautomaten. Die Marktfrau, die ihr letztes Gemüse verkauft, wäre ihnen sicher nicht so fremd, wie auch die Sprache, die hier gesprochen wird, die ich weder verstehe noch dechiffrieren kann. Ich bin hier fremd und heimatlos.


Völlig überraschend, es ist kurz nach zwei Uhr, räumt die Bedienung des Cafés die Tische ab. Ich bin irritiert und frage sie, ob sie schließen würde, „Nein, noch nicht erst um halb Drei. Sie können ruhig hier sitzen bleiben und ihren Kaffee austrinken, ich räume nur schon mal ab, damit sich niemand mehr hinsetzt“.
Da ich befürchte, meine Sitzzeit zu übersitzen, packe ich meine Sachen, zahle, setzte mich auf das Fahrrad und radle auf einem Kopfsteinpflaster aus Köthen hinaus in Richtung Bernburg.


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