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Auch von der Goldrute


Dieses Gelände durch das ich radle, macht auf mich den Eindruck, als ob die unsichtbaren Altlasten, die in den durchseuchten Böden sind, jegliche Sanierung verhindern, als ob niemand den Boden anrühren möchte, zu aufwendig, zu kostspielig. Es ist günstiger, schnell woanders zu bauen, auf einer Wiese, auf einem Acker, auf unbelastetem Grund und Boden. Die Gefahr mit diesen Altlasten ist wie ein Fass ohne Boden und Sanierung ist zu kostspielig. So werden neue Gebiete vor der Stadt bebaut, als Industriestandorte ausgegeben, neuer Boden versiegelt, neuer Grund verseucht, der zu späterer Zeit wieder aufgegeben wird, um wieder brachzuliegen und wieder wird neues Industrieland erschlossen. Wann wird alles erschlossen sein, sämtlicher Boden versiegelt, verseucht? In 100 Jahren, in 200?

Schon seit einer halben Stunde radle ich durch diese Fläche, wo rechts und links kaum Pflanzen wachsen, nur ab und an ein anspruchsloses Gras, oder ein gelb blühender Stängel der Goldrute, der Kanadischen Goldrute. Diese Pflanze gedeiht hier sehr gut, aber wehe, sie siedelt sich in anderen Gegenden an, die schon von anderen Pflanzen bewachsen sind, dann dominiert sie, verdrängt die anderen, besetzten den gesamten Platz und lässt keine andere Pflanze mehr hochkommen.
Ich frage mich oft, wenn ich eine Kanadische Goldrute sehe, warum sie Schnecken resistent ist und warum sie trotz ihrer vielen schönen gelben Blüten den Insekten wenig Nahrung anzubieten hat? Wenn es geizige, narzisstische Pflanzen gäbe, sie wäre eine?
Der Kanadischen Goldrute scheint dieser vom Industriegift getränkte Bodenschwamm nicht viel auszumachen, sie wächst zwischen den aufgebrochenen Betonplatten eines Parkplatzes, vor einem Fitnessstudio, das in einer Lagerhalle untergebracht ist, etwas weiter entfernt auf einem Platz, auf dem Gebrauchtwagen angeboten werden. Der amerikanische Maler Edward Hopper kommt mir in den Sinn, es ist hier eine sehr einsame Gegend, in der man sehr allein ist. Einen Krimi könnte man hier an diesem öden Ort, an dem sich niemand lange aufhalten will, drehen. Plötzlich in einem ansonsten leeren Gebäude hat eine Versicherungsagentur ihr Büro, ist es die von vorhin, die von vor 2 Stunden, aus dem skandinavischen Dorf?

Ohne merklichen Übergang bin ich in der weit über 1000 Jahre alten Stadt Merseburg, diese wichtige Königspfalz. Das Bistum Merseburg wurde von König Ottos I als Dankeschön für den Sieg auf dem Lechfeld vor Augsburg über die Ungarn im Jahre 955 gegründet. Er wollte sich um die Gründung drücken, aber der damals mächtige Klerus drängte ihn dazu, sein bei Gott gegebenes Versprechen, bei einem Sieg über die Ungarn ein Bistum zu gründen, in die Tat umzusetzen. Gottes Hilfe ist und war noch nie umsonst, nicht kostenlos zu bekommen.
Diese Reisekönige, das muss ja eine irre Sache gewesen sein. Sie waren ständig unterwegs, überall hatten sie Wohnungen, Königspfalzen, riesige Anwesen, Niederlassungen, um alle Mitreisenden, den Hofstaat, Berater, Diplomaten, den Sicherheitsdienst, unterzubringen. Jede Pfalz war bei der Anwesenheit des Königs der Königssitz, das Zentrum der Macht, der Intrigen, Beeinflussungen, Abhängigkeiten. Ununterbrochen wechselte der König seinen Sitz, seine Pfalz, ständig musste er sich präsent zeigen, seinen Vasallen, den Fürsten, Gelehrten, Verwaltern, die ihm durch den Lehnseid verpflichtet waren, seine Anwesenheit, die Existenz seiner Macht vorführen, beweisen. In jeder Pfalz musste der König Recht sprechen. Er repräsentierte, war das Recht, musste mit seiner Unterschrift und Siegel Verträge beglaubigen. Der König stellte durch sein persönliches Dasein, seine Anwesenheit, seine Existenz unter Beweis. Seine Legitimation war durch Pracht und Verschwendung bewiesen.
Was des Königs Reisen betrifft, viel hat sich bis heute nicht geändert. Die heutigen Politiker oder sonst sich für wichtig haltende Menschen müssen auch ständig durch Reisen präsent sein, ihre Bedeutsamkeit beweisen. Sie müssen eingeladen werden, um Reden zu halten, Meinungen auszutauschen, wiederum Einladungen auszusprechen. Je mehr Flugstunden jemand im Jahr verbucht, desto wichtiger erscheint er, desto höher steigt sein Marktwert, sein Bedeutungszugewinn. Viele dieser Reisen sind bestimmt genau so Unnotwendigkeit, unsinnig, wie dass ich hier mit dem Fahrrad durch Deutschland fahre und hier in Merseburg ein Café suche, um einen Cappuccino zu trinken.

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