logo museum der unerhörten dinge

 

wespenDie Wespenwabenannahmestelle in Kröte

 

Wenn Sie einen Kunsthistoriker, einen Barockkundigen nach Ludwigslust fragen, wird er als erstes, von den dortigen Pappmaché-Skulpturen sprechen, von der Pappmaché-Manufaktur erzählen, vom Ludwigsluster Carton zu schwärmen anfangen.

Die wenigsten werden aber über Gottfried Keiser, Keiser mit E, Bescheid wissen.

Vor über 200 Jahren war Arthur Gottfried Keiser aus Kröte maßgeblich an der Veredelung, der Transformation von Altpapier in Kunst, in Skulpturen, beteiligt. Arthur Gottfried Keiser aus Kröte lieferte einen der wichtigsten Bestandteile zur Verbesserung, zur Stabilisierung des berühmten Ludwigsluster Carton, er machte es erst möglich, dass die Skulpturen wetterbeständig wurden.

Ludwigslust, 60 km entfernt von Kröte, wurde unter dem kunstsinnigen, gebildeten und pietistisch geprägten Friedrich dem Frommen (1717-1785) ein Zentrum der Herstellung von Skulpturen aus Pappmaché.

Friedrich der Fromme, Herzog zu Mecklenburg, verlegte 8 Jahre nach dem Tod seines Vaters, des Herzogs Christian Ludwig II, seine Residenz von Schwerin nach Ludwigslust und begann sofort mit den Umbauten des alten Schlosses zu einem Barockschloss, legte das Dorf schachbrettartig, nach mathematischen Formeln an und verband das Schloss mit einem herrlichen Barockgarten nach französischem Muster, mit vielen Wasseranlagen. Nicht umsonst wird die ganze Schlossanlage das mecklenburgische Versailles genannt.
Friedrich der Fromme lebte in einer Dauerfehde mit Friedrich II, dem preußischen König. Die preußischen Soldatenanwerber drangen regelmäßig in das herzogliche Land ein, um dort, oft mit Gewalt, junge Männer für ihre Truppen auszuheben. Das ärgerte Friedrich den Frommen so stark, dass er einerseits ein Bündnis mit den Schweden einging und die schwedischen Truppen gegen den preußischen König durch Mecklenburg ziehen ließ, und anderseits kaufte er von den preußischen Militärs seine entführten Untertanen für viel Geld wieder in die Freiheit zurück.

Die Legende besagt, dass er für den Freikauf seiner gestohlenen Untertanen so viel Geld ausgab, dass er für seinen Schlossausbau und dessen Ausschmückung mit massiven Skulpturen aus Marmor oder edlen Hölzern und Metallen kein Geld mehr hatte und sich daher nur Pappmaché-Skulpturen leisten konnte und alsbald eine eigene Carton-Manufaktur gründete.

Die Pappmaché-Skulpturen von Ludwigslust waren schnell sehr berühmt, weltberühmt, und die Skulpturen aus altem, wieder verwendetem Papier wurden europaweit ein Exportschlager.

Für den Ludwigsluster Carton, der in der Anfangszeit nur für den Innenbereich geeignet war, verwendete man bald eine verfeinerte geheime Rezeptur, so dass er in Hochglanz lackiert auch für den Außenbereich, für Parkanlagen tauglich war und jedem Regen widerstand. In einigen Barockgärten Europas stehen die Ludwigsluster Carton-Skulpturen bis heute im Freien und sind nur von Spezialisten, von Kennern, als Pappskulpturen identifizierbar.

Diese Witterungsbeständigkeit ist bis heute, bzw. war bis vor Kurzem ein Rätsel. Die Rezepturen der aus verschiedenen Lagen bestehenden Skulpturenhaut, dieser Papp-Ummantelungen wurden nie schriftlich fixiert. Als 1835 die Nachfrage nach den Pappprodukten so stark nachließ, dass man die Manufaktur schloss, ging auch das Wissen um die Papiermachérezeptur verloren.

Im geheimen preußischen Staatsarchiv gibt es eine Notiz, dass der Ort Kröte, der 1776 sechs Gehöfte hatte, große Mengen von Wespennestern nach Ludwigslust lieferte. Ein Krötener mit dem Namen Arthur Gottfried Keiser, mit E, war für die Lieferung von Wespennestern zuständig. Bis zu 1.000 Wespennester soll er jährlich nach Ludwigslust geliefert haben. Gottfried Keiser betreibe eine Wespenwabenannahmestelle, bei der die Bevölkerung, für ein Entgelt, Wespennester abgeben konnte. Gottfried Keiser hätte eine eigene Wespenzucht mit ca. 100 Wespennestern in der Scheune eingerichtet. In einer Randbemerkung des Dokuments im preußischen Staatsarchiv steht, dass man nicht wisse, was die Ludwigsluster damit machten.

2008 gelang es einem Expertenteam von Restauratoren um den Papierrestaurator Erik Fens aus Holland das Geheimnis des Ludwigsluster Carton ansatzweise zu lüften. Sie wiesen nach, dass in allen Schichten der Papplagen der Skulpturen, Wespenwaben mit verarbeitet sind. Bei allen Stichproben, die sie untersuchten, fanden sie unterschiedlich hohe Konzentrationen von Material aus Wespennestern.

Dass Schriften über Ludwigslust im geheimen Staatsarchiv zu Berlin zu finden sind, ist einerseits der Feindschaft der beiden Friedrichs zu verdanken, da beobachtete man sich natürlich genau, anderseits aber auch dem Geheimnis, das dem wieder verwendeten, bedruckten Papier anhaftete. Die Preußen wussten, dass in Ludwigslust gebrauchtes Papier für Skulpturen verwendet wurde und zwar nicht nur angekauftes, sondern auch eigenes, wie zum Beispiel nicht mehr gebrauchte, ausgediente Akten, Schriftstücke, Notizen aus den herzoglichen Kanzleien. So kauften die Berliner immer wieder Ludwigsluster Skulpturen, nicht um sie aufzustellen - auf Pappskulpturen zurückzugreifen hatten die Preußen auch nicht nötig - sondern um diese auseinander zu nehmen, um dann die gewonnenen Schnipsel wieder zusammenzusetzen. Der Zweck war, hinter die Geheimnisse der Amtsführung des Friedrich des Frommen zu kommen.

So wissen wir durch die Wiederherstellung des Ludwigsluster Altpapiers durch das preußische geheime Staatsarchiv mehr über die Geschäfte des Ludwig des Frommen, als aus den Akten des fürstlichen Archivs in Ludwigslust selbst, so erfahren wir auch etwas über die Wespenwabenannahmestelle in Kröte.
Wo Kröte liegt? Im Wendländnischen, 120 km südöstlich von Hamburg, bei Waddeweitz, in der Nähe von Dickfeitzen und Clenze.

 

Literatur:
Mayer, Robert: Papier, Wespenwesen, Hamburg, 1957
Karl, Peter: Spione aus Papier, Über das Agentenwesen, Hannover, 1961