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Die Leere und der spontane Zerfall des Vakuum oder Neue Gottesbeweise


Die Frage nach der Leere beschäftigt seit alters her die Menschheit, ist sie doch die Frage nach dem „woher komme ich, wohin gehe ich“, die Frage nach der eigenen Existenz, nach dem unausweichlichen, die Menschheit kränkenden Tod. Die Leere impliziert die Frage nach dem Seienden und dadurch auch die Frage nach dem Raum, denn die Leere ist nur räumlich denkbar und das Seiende ist der gefüllte Raum.

Die Leere ist der Ort des Nichts, ein Ort erfüllt mit Nichts.

Aristoteles löste das Problem der Leere, indem er sagte: Die Leere ist ein „körperlich nicht ausgefüllter Platz, der aber des Erfülltwerdens fähig ist“. Die Leere als vorhanden lehnte er ab, denn der Raum, in dem wir sind, ist ein bereits gefüllter Raum, in dem die Leere nicht vorkommt, nicht vorgesehen ist. Daraus folgerte er: „Da die Leere nicht Ursache irgendeiner Wirkung in der Natur ist, darf die Leere nicht gesetzt werden“. Kurz, was nicht da ist, ist nicht und ist keiner Beschäftigung wert.

Diese Meinung vertraten gemeinhin die meisten Philosophen von Thales bis Platon, wie Plutarch im 18. Kapitel des 1. Buches der „Lehrmeinungen der Philosophen“ schreibt. Demokrit, Demetrius, Epikur u.a. erkannten die Leere als vorhanden an, als ein in ihrer Mächtigkeit Unbegrenztes. Die Stoiker waren überzeugt, dass die Leere nicht innerhalb der Welt sei, sondern in ihrer Unbegrenztheit außerhalb der Welt. Sie argumentierten: Wenn es einen gefüllten Raum gibt, müsse es auch einen ungefüllten geben.
Das Christentum übertrug die Einsichten der Griechen auf ihre Weltbetrachtung und damit auch das Problem der Leere, des Nichts. Weiterhin gab es das Nichts als Ort der Unbegrenztheit wie auch die Meinung, dass sich diese Frage nicht stelle. Das Christentum übernahm den unfassbaren leeren Raum der Griechen, ersetzte deren Götterwelt durch ihre Gottwelt und erfüllte sie mit Engeln, mit Heerscharen ungezählter Zahl und Art und in deren Mitte Gott in seiner Trinität. So war der Raum außerhalb der Dingwelt weiterhin kein leerer, sondern ein gefüllter. Der Widerspruch ließ nicht lange auf sich warten.

Die Unbegreifbarkeit dieser Gottwelt ließ die Mystiker wieder vom Nichts sprechen. Der mittelalterliche Mystiker Meister Eckhart sagte: „Das Versinken in die höchste Gottheit ist im Grunde ebenso ein Sturz in den Abgrund des Nichts.“ Die andere Meinung setzte dagegen, dass das Nichts nicht ist, höchstens die Hölle sein kann, das Versinken in eine Leere, die absolute Auslöschung. Gott offenbare sich in der mit Dingen erfüllten Welt und sei daher nicht mit dem Nichts gleichzusetzen, denn sonst wären die Dinge selbst nicht die Offenbarung Gottes.

Mit dem Aufkommen der Aufklärung pragmatisierte sich die Frage, sie wurde immer mehr materialisiert. Man stellte sich die Frage: Was geschieht, wenn man das Nichts herstellen könnte. So sagte dann Descartes über die Leere, die er als nicht vorhanden ablehnte: „Fragt man aber, was werden würde, wenn Gott alle in einem Gefäß vorhandenen Körper wegnähme und keinen anderen an deren Stelle einzutreten gestattete, so ist zu antworten, dass die Wände des Gefäßes sich dann berühren würden. Denn wenn zwischen zwei Körpern nichts inneliegt, so müssen sie sich notwendig berühren.“

Ende des 16. Jahrhunderts beschäftigte sich der Bürgermeister von Magdeburg, Otto von Guericke, mit der Leere. Er sah das Nichts als einen Ort des Wunderbaren, des Absoluten: „Es ist alles, was ist, im Nichts, und so Gott das Gefüge der Welt, das er schuf, wieder zu Nichts zurückschüfe, nichts bleibe an seiner Statt als das Nichts, das Unerschaffene, so wie es war vor dem Anfang der Welt. Denn Unerschaffenes ist, dessen kein Anfang ist, das Nichts ist, dessen kein Anfang ist. Alles schließet es ein, das Nichts. Köstlicher ist es als Gold. Fremd ist dessen Werden und Vergehen. Es ist erquickender als der Anblick des Lichts, edler als der Könige Blut, dem Himmel gleich, höher als alle Gestirne, gewaltiger als der Strahl des Blitzes, vollendet und durchaus beglückend. Das Nichts ist aller Weisheit voll. Wo das Nichts ist, endet der Könige Machtgebot, nur das Nichts kennt keine Leiden.“ Otto von Guericke war ein von der Aufklärung eingefangener Mensch, nur was ist, war für ihn interessant, das was denkbar ist, kann auch sein und wenn es nicht ist, muss es ge/erfunden werden. Wenn das Nichts denkbar ist, kann es hergestellt werden. Er unternahm Versuche, in denen er aus zwei zusammen gepressten Halbkugeln die Luft heraus pumpte, sie entleerte und dadurch das Vakuum erfand. In Regensburg bei einem kaiserlichen Treffen, bei einer Reichstagssitzung, demonstrierte er auf eigene Kosten die Kraft des Vakuums, indem er jeweils acht Brauereigäule an jeweils eine Seite einer Vakuumkugel spannte und zeigte, dass die ganze Kraft von zwei Mal acht Pferden nicht ausreiche, eine leere Kugel zu trennen. Erst als man die Kugel von dem Vakuum, von der Leere befreite und wieder mit Luft füllte, konnte sie getrennte werden und dann von jeder Kinderhand.

Aufgrund der Experimente Guerickes und mit seiner Entdeckung des Vakuums, des Luftdruckes, konnten später der Motor erfunden werden und Flugzeuge fliegen und aufgrund seiner Berechungen des Nichts können heute Raketen ins Weltall geschossen werden. Die Naturwissenschaft spaltete sich von den philosophischen Betrachtungen ab und kümmerte sich nicht mehr um die Frage nach der Leere, sie stellte diese her, sie wollte nur eins, eine praktische Anwendung.

Die Philosophen und Denker blieben jedoch bei ihrer Frage nach dem Nichts, setzten es weiter mit dem Göttlichen, mit dem Absoluten gleich oder leugneten seine Existenz. J. W. v. Goethe: „Das Ewige regt sich fort in allem: Denn alles muss in Nichts zerfallen, wenn es im Sein beharren will“. G. W. F. Hegel: „... das Nichts das erste, woraus alles Sein, alle Mannigfaltigkeit des Endlichen hervorgegangen ist“. Franz Grillparzer: „Das Nichts kann man schon darum nicht denken, weil dabei immer das Denken übrigbleibt und man somit keineswegs das Nichts gedacht, sondern nur vom Objekt abstrahiert hat“. Pier Paolo Pasolini: „Wer das Nichts will, will die Macht.“ Martin Heidegger: „Der Mensch ist der Platzhalter des Nichts“. Karl May: „Du Null, du Nichts, du Loch in der Natur.“

In den letzten Jahren kommen in der Debatte um das Nichts die naturwissenschaftliche Forschung und die philosophischen Betrachtungen wieder zusammen. In der Physik gibt es das ungeklärte Phänomen des „spontanen Zerfalls des Vakuums“. Darunter versteht man, dass bevor ein absolutes Vakuum erreicht ist, in diesem Fast-Vakuum Teilchen entstehen und das vor dem Abschluss stehende Vakuum sofort zerfallen lassen. Aus diesem Grunde kann bis heute das absolute Vakuum nicht hergestellt werden. Woher diese Teilchen kommen, ist völlig ungeklärt, es hat den Anschein aus dem Nicht

Nun gibt es zwei Thesen, wie es zu diesem „spontanen Zerfall des Vakuums“, zu der Entstehung der Teilchen aus dem Nichts kommt.

Die Erste These: Wenn das absolute Vakuum hergestellt werden könnte, wäre dies ein leerer Raum, ein gottloser Raum. Da es aber einen gottlosen Raum nicht geben kann und darf, zerfällt dieser Raum spontan, bevor er entstehen kann.

Die Zweite These: Wenn das absolute Vakuum hergestellt werden könnte, wäre dieser leere Raum der Sitz Gottes, ja Gott selbst. Jeder Mensch könnte sich zu Hause eine Vakuumpumpe aufstellen und sich je nach Bedarf und Lust und Laune Gott herbei pumpen. Diese Willkür in der Verfügung Gottes kann Gott nicht zulassen und verhindert daher durch den Zerfall des Vakuums sein Werden im absoluten Nichts.

So stößt die Naturwissenschaft, die angetreten ist; Gott in seine Schranken zu verweisen, bei den Bemühungen; das Nichts herzustellen; wieder auf Gott

 

Bild: Schulhistorische Sammlung Bremerhaven

Literatur:
Gerhard Hummel, Gott in der Naturwissenschaft, Regensburg, 2001
Matthias Puhle: Die Welt im leeren Raum. Otto von Guericke 1602–1686. München 2002
Jonas Trobel: Das Nichts-Denken, München, 1987