logo museum der unerhörten dinge

 

Husumer ProtestschweinWie das Husumer Protestschwein in Österreich politisch wurde
und beinahe den Doppeladler verdrängte

 

Zwischen 1910 und 1912 gab es in Österreich eine aus heutiger Sicht merkwürdige Diskussion, eine Debatte um die Einführung und Verbreitung eines patriotischen Schweins, des österreichischen Kaiserschweins.

Um diese Diskussion und das Anliegen der Diskutanten zu verstehen, muss man sich die damalige Zeit vor Augen führen.


Der österreichische Kaiser Franz Joseph I (1830-1916), ein von vielen persönlichen Schicksalsschlägen gebeutelter, von seinem Volk wahrscheinlich gerade wegen der vielen privaten Katastrophen sehr geliebter Kaiser, der bis heute von vielen fast mystisch verehrt und liebevoll der „ewige Kaiser“ genannt wird, dieser von allen nur Franz Joseph Genannte, ist seit 1848 Kaiser von Österreich.

In Wien kursierten schon seit langem Vorschläge, wie das 70-jährige Regierungsjubiläum des Kaisers 1918 würdig gefeiert werden könne. In den Salons der Stadt, in Vereinen, den Hinterzimmern, in Standesverbänden, bei Bällen, überall werden Überlegungen angestellt, wie man am würdigsten dieses große Fest begehen könne. Das 65. Jubiläum 1913 sollte eine Art Übung, eine Einführung, darstellen, um 5 Jahre später das 70-jährige Jubiläum gebührend, als Höhepunkt, zu begehen. Bei beiden Festlichkeiten sollte aber, das war unausgesprochen der zweite Mittelpunkt der Vorbereitungen, auf die magere, unerfahrene 25- bzw. nur 30-jährige junge Regierungszeit des Deutschen Kaisers, des Preußen Wilhelm II. Bezug genommen werden.

Denkmäler aufzustellen, Namenstaufungen von Landstrichen und Flüssen waren geplant, Sternbilder sollten Franz Josephs Namen erhalten, Feuerwerke im ganzen Land waren eine Selbstverständlichkeit, Aufträge für Musikstücke wurden schon vergeben, überall wurde diskutiert, wurden Vorbereitungen getroffen, neue Ideen entworfen, verworfen, neue, noch großartigere gefunden.

Eine Gruppe um den Wiener Hofbeamten Rüdiger von Schittmacher kam auf die Idee, ein Schwein, ein rot-weiß-rot gestreiftes Schwein, ein Schwein in den Farben der Monarchie, den Farben des Bindenschildes des Staatswappens, den Farben des Militärs, dieses Schwein also zum Nationalschwein zu erklären, es als österreichisches Schwein anzuerkennen und alle Bauern der Monarchie anzuhalten, ihre Schweinehaltung auf dieses kommende Nationalschwein umzustellen.

Rüdiger von Schittmacher meinte, der Vorteil dieses Vorhabens sei, dass ein solches Schwein in verschiedenster Hinsicht große, viel beachtete Zeichen setze. Ein solches Vorhaben, ein solches Schwein würde alle Ebenen der Huldigung und der Würdigung beinhalten, wie auch sehr nachhaltig auf Jahrzehnte hinaus nachwirken und die gesamte Doppelmonarchie erfassen, wie es kein anderes Unternehmen anlässlich der großen Feierlichkeiten je könnte oder dazu fähig sei.

Dieses zukünftige österreichische Nationalschwein wurde um 1880 in Schleswig-Holstein gezüchtet. Es ist ein genügsames, fleischiges, robustes Schwein, das damals noch keine offizielle Anerkennung und Würdigung gefunden hatte, das also zur Namensgebung und Anerkennung noch vollkommen frei stand, es wartete sichtlich, damit sich jemand seiner annähme.

Warum ein solches Schwein gezüchtet wurde und warum es eine Affinität der Österreicher zu ihm gab, erklärt sich aus der Geschichte.

Am 18. 2. 1864 überschritten österreichische und preußische Truppen die Grenze des Königtums Dänemark und eroberten die Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Am 30. 10 des selben Jahres wurden die drei Herzogtümer im so genannten Wiener Frieden zur gemeinsamen Regierung an Preußen und Österreich abgetreten. Holstein wurde von Österreich verwaltet, Schleswig von Preußen und Lauenburg von Preußen komplett einverleibt. Die Österreicher hoben die Torsperre von Lübeck sofort auf und die Preußen erklärten Kiel zum preußischen Kriegshafen.

Zwischen Preußen und Österreich entflammte sofort eine heftige und hitzige Debatte, ob das Zeigen der dänischen Fahne und Farben toleriert werden solle oder nicht. Österreich, mit den Erfahrungen des Vielvölkergemisches der Doppelmonarchie, wollte dies weitgehend tolerieren, Preußen es bei strenger Strafe verbieten. Man einigte sich, dass es im jeweils verwalteten Gebiet unterschiedlich gehandhabt werden würde.

Zwei Jahre später, am 10 .6. 1866, besetzten preußische Truppen das österreichische Holstein und am 3. 7. wurden die österreichischen Truppen bei Königgrätz (Hradec Královè) im heutigen Tschechien vom preußischen Heer verheerend besiegt, was zur Folge hatte, dass Holstein beim Frieden von Prag endgültig an Preußen abgegeben wurde. Preußen erweiterte sofort das Zeigeverbot des dänischen Rot – Weiß auch auf Holstein.

15 Jahre später, 1881, berichtet ein preußischer Polizeiposten aus Husum der preußischen Regierung in Berlin, in letzter Zeit sei zu beobachten, dass Bauern rot-weiß gestreifte Schweine hätten, eindeutig rot-weiß wie die verbotenen Farben Dänemarks. Bei Nachfragen antwortete die mürrische und maulfaule, verschwiegene Bevölkerung, bei der man nie weiß, woran man ist: „Die hatten wir schon immer.“ Einige Bauern meinten, es habe nichts zu bedeuten, es sei nur ein Sonnenbrand, ihre Schweine hätten aus Versehen unter einer deutschen Eiche ein Schläfchen gehalten. Sie wurden für ihre freche Antwort sofort gemaßregelt.

Eine daraufhin eingesetzte Untersuchungskommission aus Berlin erstellte ein Dossier. Nach ausführlichen Befragungen der Bauern konnte herausgefunden werden, dass dies rot-weiß gestreifte Schwein von dem allgemein verbreiteten Marschschwein abstammt. Ob diese Farbe durch eine bewusste Kreuzung herbeigeführt wurde, um Schweine mit den verbotenen Farben zu schmücken, ließ sich nicht feststellen. Eine zielgerichtete Kreuzung zur Provokation des Preußischen Staates wäre Hochverrat und alle diese Schweine fielen dann unter das Seuchengesetz und müssten unverzüglich vernichtet, die Bauern aufs Schärfste bestraft werden. Bei einer zufälligen, spontanen Entwicklung jedoch könne man schwer etwas einwenden, man könne ja die Farben als solches nicht abschaffen oder verbieten. Dem Bericht zufolge sei die Ausbreitung des Schweins schon so weit fortgeschritten, dass man von einem allgemeinen Hausschwein sprechen könne.

In dem geheimen Bericht kam man zu der Überzeugung, dass es den Bauern sehr wohl bewusst sei, dass dieses Schwein ein Affront gegen die Preußen darstelle, aber da der Affront nicht nachgewiesen werden könne und das Schwein inzwischen so stark verbreitet sei, dass ein Verbot und eine Vernichtung einen gefährlichen Aufruhr nach sich ziehen könne, wurde empfohlen, vorerst nicht einzuschreiten und das Schwein zu ignorieren. Es solle auf keinen Fall offiziell anerkannt und nicht zugelassen werden, dass dieses namenlose Schwein als neue Zucht in das preußische Haustierrassenregister eingetragen werde, denn nur was mit einem Namen benannt werden könne, stelle eine Gefahr dar, daher solle dieses Schwein namenlos und nicht existent bleiben.

Diese Zusammenhänge stachelten die Phantasie des Hofrats Rüdiger von Schittmacher an. Wenn man dieses noch namenlose Schwein, das eine Provokation für Preußen darstellte, das in schönster Art in seiner Farbgebung die Farben rot-weiß-rot des österreichischen Hofes zeitgt, wenn man dieses Schwein zum österreichischen Nationalschwein erklären würde, es offiziell als österreichische Rasse anerkenne, dann wäre jedes dieser Schweine ein Zeichen des Patriotismus, eine Ehre für Österreich, eine Huldigung an den Kaiser und jedes einzelne Schwein auch eine Demütigung Preußens.

Wenn man 1913 zum 65. Thronjubiläum das Schwein offiziell zum österreichischen Schwein erklärte, es aufnehme in die Liste der Nationalen Nutztierarten und es dadurch auch international anerkennen und dieses österreicherische Nationalschwein in der Monarchie jedem Bauern bei Prämienbescheid empfehlen würde, könnten fünf Jahre später zum 70. Thronjubiläum siebzigtausend, ja siebenhunderttausend österreichische Schweine in der Doppelmonarchie verbreitet sein und jedes wäre eine Huldigung an Franz Joseph. Es wäre das schönste, größte und eindrucksvollste Geschenk, das je einem Kaiser dargebracht worden wäre.

In seinen geheimen Träumen sah Rüdiger von Schittmacher schon einen Doppelschweinekopf anstelle des Doppeladlers im österreichischen Wappen.
1911, als die Diskussionen um die Einführung des Nationalschweins seinen Höhepunkt erreichten, jährte sich zum 730. Mal die Legende um die Entstehung der österreichischen Monarchiefarben Rot-Weiß-Rot.

Der österreichische Babenberger Herzog Leopold V. kam 1191 während des 3. Kreuzzuges zur Befreiung des Heiligen Landes nach der Eroberung Akkons siegreich mit seinem blutdurchtränkten Mantel aus der Schlacht zurück, und als er seinen Waffengurt ablegte, wurde ein weißer Steifen sichtbar und dieses siegreiche Rot-Weiß-Rot ernannte er anschließend zu den herzoglichen Farben der Babenberger. Diese Farben sind seither die Farben aller Herzöge, Könige und Kaiser von Österreich.

Diese Legende könnte nun durch das Schwein veredelt werden. Die Anspielung an das Kriegerische würde durch die friedfertige Landwirtschaft, durch die Pragmatik der Bauern bereichert, die Farben würden die Wehrhaftigkeit wie auch die Friedfertigkeit der Monarchie repräsentieren.

Der andere, wichtige Aspekt wäre, dass man den Preußen eins auswischen könnte, das Schwein hier in Österreich anzuerkennen, hieße, Preußen eine ewige Schmach zu bescheren, eine Revanche für Königgrätz.

Heftig wurde in den Salons darüber diskutiert. Im niederösterreichischen Hollabrunn grunzten schon einige dieser rot-weiß-roten Schweine. Es wurden Ausfüge organisiert, um die dortigen Kaiserschweine begeistert in Augenschein zu nehmen. Sie fühlten sich, allem Anschein nach, in Österreich sehr wohl, brachten alle über 300 kg auf die Waage und strahlten rot-weiß-rot wie die vielen Fahnen, die man um das Schweinegehege aufsteckte. Aus der Ferne konnte man zwischen den Fahnen und den Schweinen kaum eine Unterscheidung ausmachen.

Nicht alle waren begeistert. Es gab auch Gegenstimmen, wie immer, wenn etwas Großes geplant wird. Der einflussreiche Salon von Frau Diotima konnte sich nicht entscheiden, welche Position man einnehmen sollte. Es verkehrten dort Gegner wie Befürworter des Kaiserschweins. General Stam wandte z.B. ein: „Es steht zu befürchten, dass das komplizierte Gleichgewicht der K&K-Monarchie in Gefahr gerät, allein schon die Tatsache, dass unsere Muslime des Südens, von unseren Juden schon gar nicht zu reden, nicht viel von schmackhaftem Schweinefleisch halten, sie sehen dieses Tier auch als unrein an. Dies lässt mich an einem Gelingen zweifeln.“ Bankdirektor Fischle stimmte ihm mit einem zustimmenden Nicken zu.

Im Frühjahr 1912, als sich die Befürworter des Schweins auf den Namen „Österreich-Schwein“ geeinigt hatten, kurz bevor der Antrag zur Anerkennung eingereicht werden sollte, tauchte in Wien eine antikaiserliche Schmähschrift auf, die der Diskussion um das Kaiserschwein ein sofortiges Aus bescherte.

In der anonym verfassten Flugschrift hieß es: „Die ganze Hofburg ist ein einziger Saustall und der ihm vorsteht, ist das Oberschwein, ein rot-weiß-rot gestreiftes Kaiserschwein“. Die ganze Schrift war eine einzige Schmäh, eine Majestätsbeleidigung, ein Aufruf zum Umsturz, eine Aufforderung zur Anarchie. Es hieß dort, die Bauern seien die einzigen, denen der Saustall gehöre und die Arbeiter der Schlachthöfe hätten die ehrenvolle Aufgabe, rot-weiß-rote Schweine zu schlachten. Die anonyme Schrift endete, indem die Bauern und die Arbeiter aufgefordert wurden, nicht mehr den Schweinen zu dienen, sondern den Saustall zu übernehmen und den ganzen Mist gründlich auszuräumen.
Per geheimem Dekret wurden die Kaiserschweine von Hollabrunn sofort gekeult, kein einziges blieb übrig. Der Kadaver der Tiere wurden verbrannt.

Von einer öffentlichen Verfolgung der Schrift wurde abgesehen, um die Vereine und Salons, die sich mit dem Schwein beschäftigt hatten, nicht in Verruf zu bringen. Diese lösten sich schlagartig auf, d.h. sie wurden umbenannt und verfolgten andere Ziele. Über diese Episode mit dem Schwein wurde nicht mehr gesprochen, es wurde auf allen Ebenen Stillschweigen vereinbart. Das Schweigen war so gut organisiert, dass bis heute kaum jemand die Geschichte kennt und sie von offizieller Seite bis heute abgestritten wird.

Robert Musil, der in seinem größten Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ die Diskussionen um das Thronjubiläum als Hintergrund seiner Gesellschaftsbetrachtungen wählte, kannte die Geschichte über die Einführung des rot-weiß-roten Kaiserschweins und spielte kurz mit dem Gedanken, sie in seinen Roman aufzunehmen. Er verwarf die Idee aber gleich wieder, sie war ihm zu grotesk und albern, wie er in einem Schreiben 1928 bemerkte.

Das Schwein wurde 1954 offiziell anerkannt und bekam den Namen „Rotbuntes Husumer Protestschwein“. Es wird vermutet, dass es aus einer Kreuzung des schwarz-weiß-gescheckten holsteinischen und jütländischen Marschschweines mit dem englischen Tamworth-Schwein und durch rotbunte Aufspaltungen des Angler Sattelschweines hervorgegangen ist. Es wurde sehr wohl aus Protest der Bauern gegen die Besetzung von Preußen gezüchtet, um die Eigenständigkeit der Schleswig-Holsteiner zum Ausdruck zu bringen.

Das Protest Schwein steht heute auf der Liste der bedrohten Haustierarten. Dieses pflegeleichte, gutmütige Schwein verfügt über die normale Anzahl von Rippen und ist daher für die Rippchenproduktion nicht mehr interessant. Nur noch wenige Höfe züchten das schmackhafte Tier, das bei Gourmets einen exzellenten Ruf besitzt.
In Kröte, einem kleinen 40-Seelen-Dorf im Wendländischen, lebte ein Husumer Protestschwein mit dem Namen, am 9.6.05 wurde es in seinen eigenen Gedärmen, zu Gunsten unseres Gaumens, verwurstet.

 

Literatur:
Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften. Frankfurt am Main, 19 .
Robert Musil, Unveröffentlichte Notizen. Klagenfurt, 1967.
Flaggen, Legenden, Fahnen. Drosendorf, 2000.
Das Schwein in der Zucht. Lüchow, 1987.
Nationalfarben und ihre Legenden. Möhrs, 1954.