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Schlichtholz I

Eine Schneider Familie aus Königsberg

 

 

 

Möglichkeit 1

Herr und Frau Schlichtholz, aus Königsberg, 1944 ausgebombt, schlossen sich, mit vier Koffern ihrer geretteten Habseligkeiten und ihre 20 jährigen Tochter Heike, einem Treck in den Westen an. Im Herbst 1945 wurde ihnen bei Bauern im Wendland eine Unterkunft zugewiesen.

Herr und Frau Schlichtholz führten in Königsberg, in der 2 Generation, eine Maßschneiderei, „Schlichtholz Maßschneiderei für die bessere Gesellschaft“.

Kam angekommen in ihre Notunterkunft, in Langendorf an der Elbe, im Hannoverschen Wendland, wurde ihnen vom Deutschen Roten Kreuz mitgeteilt, dass ihr 24 jähriger Sohn Karl-Uwe, am 6.11.1945 in russischer Gefangenschaft gestorben sei. Ihr erster Sohn Gustav fiel Mitte August 1941 bei der erbitterten Schlacht um Kiew.

Herr und Frau Schlichtholz saßen nun im Wendland, umgeben von ländlich, bäurischen, sich wiederholendem Alltagsgeschehen, sie fühlten sich nutzlos und überflüssig. Dem bäuerlichen Milieu standen sie hilflos gegenüber, es war für sie ein Buch mit sieben Siegeln. Ihre ganzen Gedanken waren nur in der Vergangenheit, in einem intakten Deutschland, in ihrer Heimat Königsberg, bei ihre Kundschaft und bei den noch unerledigten Aufträgen, die sie durch ihre Flucht zurücklassen mussten.
Sie wussten zwar, dass ihr gesamtes Ladengeschäft abgebrannt war, wussten, dass niemand zu Schaden kam, dass alle 12 Mitarbeiter während es Angriffes Schutz im Bunker fanden, aber trotzdem machten sie sich ständig Sorgen, was nun mit ihrem sorgsam ausgewählten Textilen geschehen würde.

Noch mehr Sorgen, die meisten Gedanken kreisten um ihre Aufträge, um die Kundschaft, die nun ihre bestellten Anzüge oder Damenkostüme nicht mehr abholen könnten, weil sie weit ab, mittellos da saßen und ihrer Arbeit, ihren Versprechungen, nicht nachkommen konnten.
Sie verstanden im reinsten Sinne des Wortes die Welt nicht mehr; wie die Welt die sie umgab, sie nicht verstand. Die Bauern schauten verständnislos den Beiden hinterher. Als einzige Reaktion, ihres nicht Verstehens schüttelten sie Anfangs noch ihre Köpfe, aber bald wurde ihnen auch das zu viel.

Als dann, nach einem stillen, erbitterten Streit, zu dem sie eigentlich gar nicht fähig waren, die Schlichtholz- Tochter ihren Eltern erklärte, dass sie mit den englischen Soldaten John nach England gehen werde, wurde dieser das verzweifelt verboten. Ihr wurde gesagt, dass sie Deutschland nicht verlassen dürfe. Nach 3 Tagen verschwand sie, hinterließt nur einen Abschiedsbrief, auf dem geschrieben stand, dass sie das Leben hier nicht mehr aushalten würde.

Darauf hin sprachen und aßen Herr und Frau Schlichtholz kaum mehr etwas. Den Bauern, bei den sie einquartiert waren, war das recht, musste sie sich das Gejammere nicht mehr anhören. Man ließ sie in Ruhe.

Im Winter 1948, zwischen den Jahren, am 28.12. fand man beide, Herr und Frau Schlichtholz im Wald bei Vietze, nahe der Elbe, versteckt, auf einer Bank sitzen. Sie waren seit 6 Tagen nicht mehr gesehen worden. „Jetzt sind sie gegangen, ohne sich zu verabschieden, Städter eben. Es ist gut so, dass sie weg sind“ dachten sich die Bauern. Man fand Herr und Frau Schlichtholz, steif gefroren, es war ein sehr kalter Wintereinbruch seit dem 21.12.
Eine angeordnete Untersuchung ergab, dass sie ohne Fremdeinwirkungen erfrorenen sind.
Alle, die sie sahen sagten einstimmig, dass beide einen zufriedenen Gesichtsausdruck hatte, sie lehnten aneinander und schauten in eine weite Ferne. Die Polizei wunderte sich, dass bei beiden kein Wildfraß festzustehen war.

Am 4.1. wurden sie, mit geringer Beteiligen der Bevölkerung, auf dem Friedhof von Dannenberg begraben. Der Pfarrer sprach von dem schweren Schicksal der Flüchtlinge und dem Los des Sterbens in der Fremde.