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Kuhfladen Die Macht und das Geheimnis von Kuhfladen

Von einer Kuhfladenverehrungsgemeinschaft, die zurückgezogen in einem Engadiner Tal, unweit von Scoul, bei Sent, hinten im Val Chöglias, einen Kuhfladenkult begründen wollte und scheiterte.

 

Zu dritt fingen sie an, ganz hinten im Tal, auf 1800 Meter Höhe, eine Hütte zu bauen. Eigentlich bauten sie einen vorhandenen Viehstall aus, um dort wohnen zu können. Sie kamen aus Monte Verità, dem „Berg der Wahrheit“, der damals viele Intellektuelle, Andersdenkende, Anarchisten, Esoteriker und Lebensreformer ins schweizerische Tessin, nach Ascona zog. Dort, an diesem Berg, mit dem herrlichen Blick auf den Lago Maggiore, wurde ein neues, anderes Leben ausprobiert, neue Lebensentwürfe gelebt. Vegetarismus, nackt tanzen, die Liebe quer zwischen den Geschlechtern, neue Götter anbeten, all dies war hier möglich und fesselte viele, die anders sein wollten, als der Rest der bösen, langweiligen, ungerechten Welt. Die meisten Zeitgenossen fanden diese propagierte Reform der Lebensweisen schockierend und standen ihr ablehnend, wie einer Sache des Teufels, gegenüber. Doch anderen, wie Hans Gerd Schuber, Peter van Hugen und Lydia Labser war das Leben dort zu lasch, zu populistisch, zu wenig konsequent. Sie spalteten sich ab und gründeten eine eigene Kommune, ganz abseits, hinten im Tal von Chöglias, unterhalb des Fimberpasses. Der Pass, davon gingen sie aus, diese alte, urgeschichtliche Verbindung des Engadins mit dem Paznaun, sollte ihre Gedanken und ihre Liebe zu den Kühen, zu den Kuhfladen, hinaustragen in die Welt.

Dem alten Ägypten war die Kuh schon heilig. Hathor, die Göttin der Liebe, des Friedens, der Schönheit, der Kunst und der Musik war eine Kuh und behütete die Sonne in der Nacht. Der große hinduistische Gott Krishna verbrachte seine Kindheit unter Kühen, wuchs mit ihnen auf. Sie, die Kuh, ist die Verkörperung der Erde, die Ernährende. In sämtlichen alten Mythologien stößt man zuletzt auf die Kuh. In der altnordischen Mythologie war am Anfang von Allem die Kuh. Es war die Schöpfungskuh Audumla. Sie lebte, als noch nichts war, als es noch keine Götter gab. Sie war der Anfang und aus ihren vier Zitzen flossen Ströme von Milch, die den Riesen Ymir und seine Söhne ernährte. Sie selbst leckte, in Ermangelung von anderem, an einem Eisblock aus Salz, der sie ernährte. Audumlamisten nannten sich die drei, die den ersten Winter 1910/11 in dem hinteren Tal frierend, bibbernd überlebten. Sie wärmten ihre Füße, indem sie in die warmen Kuhfladen hineintraten, stopften die zugigen Risse der Hütte mit halb getrockneten Kuhfladen zu, klebten Kuhfladen an die Wände, um sie zu isolieren und heizten mit getrockneten Kuhfladen ihren Ofen. Sie näherten sich immer mehr den Kuhfladen an und erkannten, dass die Kuh nicht nur das Tier ist, das durch ihre Milch ernährt, sondern, dass ihre Scheiße nicht nur für den Menschen segensvoll ist, sondern auch für die Wiesen, wo Dank der Kühe mehr wächst als vorher war. Dass die Kuh mehr gibt als nimmt. Ihnen wurde immer klarer, dass es die Kuhfladen der Urkuh Audumla waren, die das Leben ermöglichten. Aus ihrem Dung entsprang das Leben, ihr Dung ist der Anfang. Alsbald erkannten sie auch, dass die Form des Kuhfladens einem indischen Mandala entsprach, und sie verehrten von nun an die Kuh über ihre Ausscheidungen.

Sie verehrten die Kuh in der Form des Kuhfladens. Im darauf folgenden Sommer schlossen sich noch Julie von der Mühlen, Jakob und Peter Grülen und Peter Machig ihnen an und zogen ins hintere Tal. Sie bauten einen andern Kuhstall als Wohnung aus. In diesem Sommer kamen über hundert Pilger bei ihnen vorbei, um sich die neue Lehre anzuschauen. Draußen, außerhalb des Tales, sprach sich herum und erschienen in einschlägigen Zeitschriften Artikel, dass ganz hinten im Tal, in einem Engadinertal, sich eine Vereinigung zusammen fand, die die Ur-Mythologie aller Mythologien gefunden hätte, den Punkt, auf den alles zu läuft, die Quelle aus dem alles kommt. Im Kuhfladen endet jede Suche nach dem Sinn des Lebens, dort ist der Kern aller Mythologien, aus dem Kuhfladen entspringt das Sein. Den kommenden Winter, es war ein besonders milder, verbrachten sie wieder mit Kuhfladen an den Wänden, die Füße in den warmen und die getrockneten im Ofen. Im Laufe des Sommer 1912 kamen schon fast 300 Pilger ins hintere Tal und viele begehrten Kuhfladen als Devotionalien. Eine Heuhütte am Anfang des Tales bauten Jakob Grülen und Julie von der Mühlen als Devotionaliengeschäft aus, verkaufen dort Kuhfladen, Kuhfladenwasser, Kuhfladenelixier, Bilder von Kuhfladen, Aquarelle. Ein Handleser aus München hielt sich oft bei ihnen auf und deutete die Formen und die Gerüche der Glück bringenden Kuhfladen. Er garantierte, dass ein jeder einen zu ihm passenden Fladen bekomme. Über diese Geschäfte brach ein fürchterlicher Streit in der Kommune aus.

Die einen wollten die reine Lehre in Ruhe weiter entwickeln, meinten sich erst am Anfang, die andern wollten diesen Prozess finanzieren und weiter verkaufen. Es entstanden Fraktionen, Ausschlussanträge, Intrigen etc. Der kommende Winter stand an, und man einigte sich auf eine gemeinsame Überwinterung. Der Winter 1912/13 war ein sehr harter und kalter Winter. Am 28. Dezember kamen fünf der Kommunarden, ausgemergelt und blau gefroren, aus dem Tal nach Sent und baten um Unterkunft. Sie berichteten von Lawinenabgängen, von einer fürchterlichen Kälte, zu wenig Heizmaterial und über weiteren Streit unter den Fraktionen, und dass die zwei Hauptkontrahenten unbedingt dort bleiben wollten, um ja nicht dem andern das Feld zu überlassen. Erst Anfang April war es möglich, dass man in das hintere Tal gelangte.

Eine Gruppe von erfahrenen Bergbauern machte sich auf den Weg. Als sie wieder zurück kamen, brachten sie auf ihrem Schlitten zwei aneinander gefrorene Körper mit. Sie berichteten, dass diese ausgehungerten, aneinander gefrorenen Körper übereinander in einer Hütte gelegen hatten, dass es ihnen nicht gelungen war, die Körper zu trennen. In der geheizten Bauernstube wurden sie aufgetaut und voneinander gelöst. Die Polizei nahm den Fall auf und übergab die Leichname den Angehörigen, die sie nach Deutschland in die jeweiligen Städte überführten. Diese ganze Tragödie sprach sich in der Reformbewegung schnell herum und bald redete niemand mehr über die Kraft der Kuhfladen. Der beginnende Erste Weltkrieg ließ alles vergessen, so dass bis heute kaum jemand mehr etwas über die Mystik und die Kraft der Kuhfladen weiß.

 

Literatur:
Zumriß, Renate: Wege, Abwege, Auswege. Zur Geschichte der Reformbewegung. Zürich 1984 Tilo,
Tom: Ach du schönes Engadin, Chur 1987
Bernhard, Liebkirchen: Die Kuh und ihre Ausscheidungen, München 1973