logo museum der unerhörten dinge

 

kanone
Über die Liebe und das Inflationsgeld

 


Als 2008 in dem durch Wintersport zum Wohlstand gelangten Tiroler Bergdorf Jerzens, am Ausgang des Pitztals, wieder einmal ein Haus abgerissen wurde, um einem neuen, der Zeit gemäßen, Platz zumachen, fand man auf dem Dachboden zwischen andern Habseligkeiten eine kleine Truhe mit allerlei Zeug darin, unter anderem auch eine kleine Zigarrenkiste mit deutschem Inflationsgeld, zwischen dem sich ein gepresstes Edelweiß befand.

Dies Edelweiß war eine Liebesgabe des jungen Bergsteigers Jan Houben an die in Arzl im Pitztal geborene Maria Kirchebner.

Die 16 jährige Maria Kirchebner war schon das dritte Jahr in Garmisch, dem heutigen Garmisch-Partenkirchen, als Saisonkraft im Hotel Adlerblick, als sich der 17 jährige Jan Houben mit Freunden in dem Hotel einquartierte.

Jan Houben, ein wohlhabender Junge aus einer angesehenen Kaufmannsfamilie aus dem am unteren Niederrhein gelegenen Xanten, war begeisterter Bergsteiger und mit einer Gruppe gleich gesinnter Bergkameraden im Hotel Adlerblick abgestiegen. Das Hotel sollte der Ausgangspunkt für allerlei Klettertouren im Zugspitzgebiet sein.

Jan Houben fiel bereits am ersten Tag das Mädchen in dem schlichten Dirndl auf. Aufwendige Trachten waren Arbeitskräften wie Maria Kirchebner unerschwinglich, aber ein Dirndl war als Dienstbotenkleidung bezahlbar. Dirndl waren in den Städten gerade sehr in Mode und strahlten auch eine leichte Laszivität aus, was einem so „jungen Ding“ wie der Maria gut stand. Zu Ihrem Dirndl trug sie immer ein züchtiges, eng anliegendes Kropfband, ein Geschenk ihrer Mutter, das sie als keusches unverheiratetes Mädchen auszeichnete. Das Band zierte vorn ein Edelweiß.

Jan Houben lächelte sie jedes mal an, wenn er sie sah („die ist aber nett, wie die da dasteht, immer, mhh“) und sie schaute ihn, sich zwar abwendend, aber für ihn sichtbar, ganz genau an, („fesch der reiche Junge aus dem hohen Norden, in seinen Knickerbocker“).

Jan Houben sprach mit seinen Freunden nicht darüber, denn sie hatten alle eigentlich etwas anderes im Sinne als „Weibersachen“. An den Abenden frotzelten sie zwar immer damit herum, aber ansonsten wollten sie nur die Touren besprechen, die sie die nächsten Tage vorhatten, welche Hütten sie besuchen wollten, um von dort den einen oder anderen Gipfel zu besteigen.

Jan Houben pflückte bei diesen Klettertouren, verbotenerweise, die auch damals schon geschützten, zwischen den Felsen weiß wachsenden Edelweiß und steckte sie heimlich, von den anderen unbemerkt, in seine Hosentaschen.

Am Tag seiner Abreise überreichte er Maria Kirchebner die, inzwischen zu einem Strauß angewachsenen Edelweiß,. Er bedankte sich bei ihr, sprach sein Bedauern aus, dass sie nun erst, zum Abschied, das erste Mal miteinander redeten und bat sie, ihn trotzdem in guter Erinnerung zu behalten, was sie ihm fest versprach. Dann reiste er ab und tauchte nimmer ihn ihrem Leben auf.

Maria Kirchebner hielt die Edelweiß in großen Ehren. Anfangs steckte sie sie getrocknet an ihr Kruzifix im Zimmerwinkel, später in eine Vase auf der Kommode.

1929 heiratete sie in das oberhalb ihres Geburtsortes liegende Bergdorf Jerzens. Nun in der Ehe fand sie es nicht mehr angemessen, das Edelweiß, das Liebesgeschenk eines andern Mannes, den sie nicht vergessen mochte, öffentlich aufzustellen, so verbarg sie das Edelweiß in ihrem Schubfach des Schrankes zwischen ihrer Wäsche.

1939, ihr Mann war im Krieg, räumte sie die Wohnung auf, presste alle Edelweiß einzeln zwischen wertlos gewordenes deutsches Reichsgeld und packte alles zusammen in eine Zigarrenkiste.

Ihr Mann kam nicht mehr aus dem Krieg zurück und sie betrieb mit ihren Kindern den kleinen Hof weiter, beherbergte ab den sechziger Jahren Sommergäste und übergab 1976 das gesamte Anwesen ihrer zweiten Tochter Hilde.

1989 starb Maria Kaltbräuer, geb. Kirchebner, und ihre Tochter verstaute die Hinterlassenschaften ihrer Mutter, die sie nicht wegwerfen wollte oder konnte, auf dem Dachboden des Hauses, wo sie 2008 von einem Urekelkind gefunden wurden.


Literatur

Hg. H. Müller, Alpentouren in der ersten Hälfte des 20 Jhr. München, 2014
Unveröffendlichte Interviews mit der Nonne Schwester M. Geralda, geborene Kirchebner, Wien, 2010
Roswitha Mulpe, Das Hausmädchen der Alpenländer, Innsbruck, 1997
Joseph Roßbichler, Wie die Norddeutschen den Alpenländlern ihre Berge schmackhaft machten. Hamburg, 1999
Roman Himmel, Nachlässe und ihre Geschichte, München, 2011
Hilde Willer, Das Dirndl und die Tracht, Hamburg, 1978