logo museum der unerhörten dinge

 

EinritzungenEinritzungen Casanovas

 

Als Casanova "zur frühen Stunde aus Breslau abreiste", stieg zu seiner Überraschung die Dame Maton bei, der er am Vortage, aus einer Laune heraus, anbot mit nach Dresden zu reisen. Seine Überraschung war um so größer, da er diese Dame schon wieder vergessen hatte, fand aber, als sie einstieg, ein solches Arrangement doch "vortrefflich". "In Dresden angekommen, stieg ich im besten Gasthof am Platze ab und mietete einen ganzen Stock". Dieses Gasthaus war das Hotel "Stadt Rom", Ecke Neumarkt / Moritzstraße, das bis 1931 durchgehend seinen Hotelbetrieb aufrecht erhielt und 1943 abgerissen wurde. Dieses Hotel hatte genau den Erker, den Casanova mehrmals beschreibt. Seine Begleiterin, Maton, steckte ihn während ihres gemeinsamen Aufenthaltes mit einer "galanten Krankheit mit sehr häßlichen Symptomen" an. Casanova berichtet detailliert über seine Ansteckung und belehrt nebenbei seinen Bruder Giovanni, eine solch selbstverschuldete Krankheit nicht an die große Glocke zu hängen, sondern sie in aller Abgeschiedenheit auszukurieren.

Die nun folgenden vier Monate seines Lebens handelt Casanova im 15. Band seiner "Geschichte meines Lebens" mit einem einzigen Satz ab: "Ich unterwarf mich einer strengen Kur und hatte das Glück, Mitte August wieder gesund zu sein, so wie es vor meiner Abfahrt aus Warschau gewesen war." Es ist erstaunlich und für Casanova verwunderlich, dass dieser scharfe Beobachter und genaue Protokollant seines Lebens vier Monate mit nur einem einzigen Satz, mit diesen wenigen Worten beschreibt oder besser gesagt verschweigt.

Casanova-Forschern der letzten Jahrhunderte war dieser Umstand immer suspekt. Sie fanden aber keine Erklärung, außer dass er diese, seine "galante" Krankheit "galant" übergehen wolle, was aber nicht seiner Art, seinem Stil entspricht, denn er zeichnet sich gerade durch die Genauigkeit, Ehrlichkeit und offene Rationalität, bei aller Noblesse und Selbstbezüglichkeit, aus. Der togonesische Historiker und Fachmann für europäische Erotomanie, Georges Beta Husumu, fand 2001 bei der Durchsicht der umfangreichen, von Casanova für den Grafen Waldstein in Dux (in der Nähe von Chomutov, Böhmen) angelegten Bibliothek, die er von 1785 bis zu seinem Tode 1798 ausbaute und führte, achtzehn gut erhaltene, bisher unbekannte Seiten, wovon auf zwölf Seiten der bisher unbekannte, von Casanova handschriftlich aufgezeichnete Zeitabschnitt seiner Heilung beschrieben wird. Diese Seiten geben Auskunft über die bisherigen leeren oder schwarzen Monate seines Lebens.

Die Beschreibung dieser Zeit beginnt mit den gleichen Worten, wie in der von ihm autorisierten Ausgabe der "Geschichte meines Lebens": "Ich unterwarf mich einer strengen Kur" und nun folgt eine bisher nicht gekannte Darstellung "in Kuckuksbad an der Elbe. Graf Schwerin machte mich darauf aufmerksam - er war der einzige, dem ich von meinem Malheur berichtete, ich war ihm selbst bei einer ähnlichen Gelegenheit vor einigen Jahren behilflich - daß sich in Kuckuksbad in den letzten Jahren die Barmherzigen Brüder auf diese Krankheiten spezialisiert hätten. 1708 gründete Graf Sporck dieses Bad mit dem Spital. Dieser Ort überstand, vor nicht allzu langer Zeit, ein Hochwasser, das große Teile der Wohngebäude mit sich riß. Was ich aber am pikantesten empfand, war der allegorische Zyklus des begabten Bildhauers Matthias B. Braun, der die zwölf Laster und die zwölf Tugenden wunderschön darstellt. Diese Statuen geben der heutigen Spezialisierung des Spitals eine besondere, aparte Note."

Casanova beschreibt den immer wiederkehrenden gleichen Tagesablauf des Kurbetriebes, die Ruhe, das Rauschen der Elbe und die Abkehr aller hier Anwesenden von leiblichen Freuden, außer der des Essens. So beschreibt er ein großes Menü mit frisch gebratenen Lerchen, die fast so gut seien wie die in Leipzig. Die dortigen galten damals als die besten in ganz Europa. Er spürt eine langsame Genesung und ein Abschwellen der Knoten in der Leistengegend. Was ihm besonders gefiel, war die Diskretion der Behandlungen. "Der Grund der Anwesenheit wurde nie erwähnt, geschweige von ihr gesprochen. Selbst als ich mit meiner Kutsche ankam und zur ersten Unterredung vorsprach, wurde die Krankheit nicht erwähnt, nie nach ihr gefragt. Mir wurde ein vergnüglicher Kuraufenthalt ähnlich dem in Franzensbad oder Karlsbad angeraten, mit Ausnahme von Anwendungen speziellerer Art."

Eines Abends bekam Casanova eine Depesche aus Venedig, seiner geliebten Heimatstadt, mit der Aufforderung, unverzüglich bei der Dogenpolizei vorzusprechen und Bericht zu erstatten über Vorkommnisse in St. Petersburg, Warschau und Wien. Ein Treffen mit dem Dogen wurde ihm in Aussicht gestellt sowie auch eine Erhöhung seiner monatlichen Zuwendungen. Für seine Reise wurde ihm freies Geleit zugesagt, jedoch müsse alles im Verborgenen geschehen. Die Dogen von Venedig hatten seit Jahrhunderten den besten Nachrichtendienst und die beste Geheimpolizei der Welt, sich ihnen zu widersetzen war nicht ratsam, insbesondere dann nicht, wenn man für sie nicht nur durch kleine Benachrichtigungen tätig war.

Am anderen Tage, morgens, bestieg Casanova eine Kutsche, meldete sich vorher bei seinen besorgt dreinschauenden Ärzten ab mit der Aussage, er habe dringend in Wien zu tun. Die nächsten zwei Tage wechselte er mehrmals die Kutsche und seinen Namen, um Spuren zu verwischen. Das letzte Stück seiner Reise legte er, von Padua kommend, mit einer Burchielli (eine größere Gondel) auf dem Flusse Brenta zurück. "Es war angenehm, in der Burchielli zu sitzen. Wie vor 31 Jahren, als 12-jähriger Junge, sah ich das Ufer an mir vorüber gleiten, sah die Bäume wandern, wie damals. Heute, als kranker Mann, weiß ich nicht, was mich in meiner Heimatstadt, die mich verstoßen hat und aus der ich geflohen bin, erwarten wird."

In Venedig angekommen begab er sich sofort zum Dogenpalast und verlangte, mit dem Inquisitor und dem Dogen von Venedig, Ladovico Manin, zu sprechen. Nachdem sein "Schreiben mißtrauisch betrachtet und geprüft" worden war, brachte man ihn nach mehrmaligen Durchsuchungen und langem Warten auf den oberen Rundgang vor die Treppe Scala d'Oro, die Prunktreppe des Palastes. "Dort sollte ich, gegenüber der Bocca del Leone, dem Briefkasten der Denunziation, warten, bis man mir Einlass gewähre. Über den Dogen Ladovico Manin, der ein Jahr jünger war als ich und dem ich als Kind öfters begegnet war, ohne mich je mit ihm anzufreunden, hörte ich, dass er das Warten auf Einlass, diese subtile Form der Erniedrigung, bis zur Qual ausbaue. Es soll jetzt acht sich steigernde Stufen des Wartens geben, vier mehr als früher, als ich noch in Venedig weilte. Auf den unrühmlichen Untergang dieses Systems werde ich später noch zu sprechen kommen. Ich versuchte mit meinen zwei mir beigestellten Wächtern ins Gespräch zu kommen, aber es hatte den Anschein, dass sie entweder stumm waren oder es ihnen verboten war, mit mir auch nur ein Wort, ja nicht einmal eine Regung zu wechseln. So stand ich angelehnt an der Balustrade und schaute in den Innenhof des Palastes, hinter mir die Bocca del Leone, die schon so viele Menschen mit ihrem gefräßigen Löwenmaul ins Unglück gestürzt hatte. Meine Leistenknoten schmerzten und ich hatte Angst, daß meine mir so wichtige Gesundheit unter dieser Reise leiden könne, aber das in Aussicht Gestellte war zu verführerisch, um die Reise nicht zu unternehmen. In mein Warten versunken sinnierte ich vor mich hin und dachte an den Tod des Kaisers Franz I, von dem ich vor einem Jahr bei einem Empfang am Hofe zu Petersburg erfuhr und bei dieser Gelegenheit Fürst Lobkowitz mir beistimmte, wie nah der Tod doch immer sei, aber wie überrascht wir alle seien, wenn wir ihm begegnen. In solche Gedanken versunken ritzte ich das Todesjahr des österreichischen Kaisers, 1765, in den Marmor des Handlaufs der Balustrade und rechts oberhalb dieser Jahreszahl den Grund meiner Leistenschmerzen, in denen sich ja auch das Leben, die Freude wie die Lust, so nahe der Zerstörung, der Verstümmelung, ja sogar mit dem Tode paart. Als ich bemerkte, was ich tat, erschrak ich, denn es wurde jegliche Beschädigung irgendeines Teiles des Palastes schwer geahndet. Meine stummen Begleiter sahen und ahnten nichts von meinen Ritzereien, zu sehr war ich vornüber gebeugt, so daß mein Körper mein Tun verdeckte."

Casanova wartete noch fünf Stunden, um dann zu erfahren, daß er nicht vorgelassen werde. Er musste am gleichen Tag, abends, die Wasserstadt Venedig verlassen und traf vier Tage später wieder in Kuckuksbad an der Elbe ein, wo er sich von der Reise wie von seiner Krankheit restlos erholte. "... und hatte das Glück, Mitte August wieder gesund zu sein, so wie es vor meiner Abfahrt aus Warschau gewesen war." Es kann vermutet werden, dass Casanova diese Reise als so demütigend empfand, dass er sie nach seiner Niederschrift aus seinen Auszeichnungen entfernte. Was von seiner Reise übrig blieb, sind die Einritzungen am Dogenpalast, genau an der Stelle, die er beschreibt.

 

Literatur:
Giacomo Casanova, Aus meinem Leben, 15-bändige Ausgabe. München
Giacomo Casanova, Briefwechsel. München
W.F. Ilges, Casanova in Dresden. Dresden 1931
Inge Hanna Ahrens, Kucks - Kuckuksbad. Die Tugenden des Barocks. Berlin 2001