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Wie 30 Jahre vor der Erfindung der Fotographie
ein bis heute verehrtes, fotographisches Bild entstand
oder
Wie zwei Liebende nicht zueinander finden konnten

 

Es gibt in der Literatur viele Berichte um zwei sich Liebende, die nicht zusammen finden. Die einen dürfen nicht (Romeo und Julia), die anderen werden von einem Zauber befallen (Rasender Roland und Angelica). Dann gibt es welche, die so sehr lieben, dass es die andere Person vielleicht gar nicht gibt (Petrarca und Laura), oder die erst im Paradies zusammen finden (Dante und Beatrice), wieder andere gehen vor lauter Zuneigung gemeinsam in den Tod (Heinrich v. Kleist und Henriette Vogel) oder das Objekt der Liebe ist unerreichbar fern, weil es das eigene Ich ist (Narziss).

Manchmal ist das, was in der Literatur beschrieben wird, harmloser als das, was in der Wirklichkeit passiert.

In den letzten Jahren des 18. Jahrhunderts lebten in Tirol zwei junge Leute, die sich liebten, aber nicht zueinander fanden. Er in der reichen Stadt Innsbruck, sie in dem nur einen kleinen Fußmarsch entfernten Dorf Absam. Georg Johannes Stebenbauer, Sohn des Kunstmalers Friedhelm Johannes Stebenbauer, war neunzehnjährig, als er auf einem Ausflug mit seinem Vater die achtzehnjährige Rosina Bucher am Brunnen von Absam sah.
Vater und Sohn machten eine Wanderung, um sich malerisch Naturstudien hinzugeben. Es war modern geworden, nach der Natur zu zeichnen und zu malen. Die Herrschaften verlangten immer mehr Landschaftsbilder, schöne Bilder, auf denen sie ihre Umgebung wieder erkannten und doch sollten sie italienisches Flair besitzen. Vater und Sohn übten sich, dieser Nachfrage gerecht zu werden.

Sie saßen unweit des Brunnens und betrachteten die Berge des Nordkammes, die zwischen den Bauernhäusern standen, als Georg Johannes ein wunderschönes Mädchen sah. Sie ging zum Brunnen und schöpfte daraus Wasser. Ihr langer brauner Rock, ihr dunkelgrüner Überwurf, oben am Hals war ein Stück einer weißen Bluse zu sehen, ihre Haare, die sich ahnen ließen, waren durch ein sittsam Kopftuch verdeckt, das das zierliche, aber doch bäurische Gesicht einrahmte.

Sie sah den Blick des jungen fremden Herrn, neigte ihren Kopf, verzog ihre Lippen zu einem leichten Lächeln und wandte sich ab, bevor Röte ihr Gesicht befleckte.
„Wer sind diese Männer? Fremd hier im Dorf. Sicher aus Innsbruck. Neuestens kommen öfters Bürgersleut in unser Dorf. Was tun sie mit dem Papier auf ihren Beinen? Zeichnen sie? Wie schön er, der Jüngere ist! Wie schicklich er seine Augen von mir wandte, als sich unsere Augen trafen.“ Mit diesen Gedanken schöpfte sie ihre zwei Krüge Wasser aus dem Brunnen und ging, immer mehr errötend, in Richtung ihres Zuhauses. Kurz blickte sie auf, als sie abbog in den Weg, der sie zu ihrem Hause führte. Dabei sah sie kurz, wie der schöne Junge wieder weg sah. Da wusste sie, dass er sie sah. Er saß so günstig an seinem Platze, dass er sie den ganzen Weg bis zu ihrem Hause mit seinen Augen begleiten konnte.

Nach Innsbruck zurückgekehrt versuchte Georg Johannes mit vielen Zeichnungen aus dem Gedächtnis heraus, die Erscheinung am Brunnen wieder zu beleben.
Die Sehnsucht, sie wieder zu sehen, ward immer größer, sodass er schon ein paar Tage später wieder in Absam war. Dreimal musste er die Strecke gehen, beim vierten Male, er platzierte sich ganz nah am Brunnen, er zeichnete die Straße, die sie letztens ging, er blickte auf, um Maß zu nehmen mit seinem Zeichenstift, da sah er sie, sie kam die Straße zu ihm herunter.

Sie zögerte erst: „Da ist er wieder, der Erwartete. Nun will ich aber nicht mehr gehen, ist es denn keusch, sich ihm zu zeigen? Aber was tut er da, ich will nur Wasser holen an dem Brunnen dort, am Brunnen unseres Dorfes. Ich werde nun hin gehen und Wasser holen. Ob es mir wohl gelingen wird, ihn nicht zu beachten?“
Am Brunnen stand nun er neben ihr und sie neben ihm. Er sprach sie so anständig und gesittet an, dass sie züchtig bleiben konnte und doch mit ihm ein paar Worte wechselte.

Wenn die Sonne am hinteren Ende der Kirche steht, sei sie meist hier. So wusste er nun, sie zu treffen und nutzte dies kommend gründlich aus.
Es war beim fünften oder sechste Male, da wagte er zu fragen, ob er sie malen dürfe. „Dies ist nicht schicklich, doch wenn ich´s nicht merken würd, dass Sie mein Antlitz von mir nähmen, dann könnt‘s ja sein“.

Er schwieg und überlegte und fragte dann, ob er ihr Spiegelbild bekommen dürfe. Er würde ein spiegelndes Papier an ihr Fenster halten, sie müsse nur ruhig darauf schauen und sich eine Zeitlang nicht bewegen, so wie sie ja oft verträumt aus ihrem Fenster sah. Ihr Gesicht, das dort auf dem Papier gespiegelt würde, könne er dann sein eigen nennen.

Georg Johannes machte mit einem Freund schon lange Experimente mit chemischen Säften, die auf Licht reagieren. Bei ihr wollte er nun Neues ausprobieren. Kleine Bilder mittels Licht auf Papier zu bannen, gelang ihnen bereits. Doch ein Spiegelbild auf ein Papier zu bringen? Er wollte es versuchen.

Mit einem starken Papier, mit verfeinerten und ätzenden Substanzen getränkt, stand er am 17. Januar 1797 des Nachmittags verabredungsgemäß, wo niemand zu Hause war, vor ihrem Stubenfenster und befestigte das Papier am vierten oberen Teil des rechten Flügels, des 7 x 5 Zoll großen Butzenfensters und strich es glatt. Nun wartete er eine lange Weile.

Sie schaute verträumt, ihr Stickzeug wie immer in der Hand, lange in ihr eigenes gespiegeltes Antlitz. Eine viertel, eine halbe oder gar eine ganze Stunde?

Er nahm das fast schon getrocknete Papier wieder weg, wischte das Glas penibel sauber und sah sie durch das Fenster noch immer verträumt.

Schnell ging er nach Hause, wusch das Papier mit verschiedensten Substanzen, rieb es mit beizenden, fixierenden Pasten ein, hängte es zum Trocknen auf und wartete, dass nun dort ein Gesicht, ihr Gesicht sich bilden wolle. Doch nichts geschah.

Nach einer Woche des Wartens, in der er nichts anderes tat, als verschiedene Versuche zu unternehmen, verschiedene Möglichkeiten auszuprobieren, das Bild dem Papier doch noch abzutrotzen, verließ ihn der Mut. Das Papier wurde immer dünner, abgeschrubbt von den Behandlungen. Nun machte er sich auf den Weg nach Absam, um ihr zu gestehen den misslungenen Versuch.

Im Dorf war viel Aufruhr, was war hier los? Viel Ordensleut gingen hin und her, sie redeten ganz aufgeregt. Er fragte eine Nonne der „Ewigen Anbetung“ aus dem nahen Hall, was denn los sei. Verwundert sah sie ihn an. Wie konnte er es nicht wissen, fragte sie ihn. Hier sei am 17. des Monats vor gut einer Woche die heilige Maria, unsere liebste Jungfrau, die Mutter des Herrn Jesu erschienen. Im Haus der Buchers, spät nachmittags so um die vier Uhr. Der begnadeten Rosina, die nun in aller Munde. Rosina, die Auserwählte, glaubte es anfangs nicht, versuchte, das Bild auf dem Fensterglas abzuwischen, aber kaum war es weg, erschien es wieder. Vorbeikommende Bauersleut sahen ihre Versuche, erkannten aber gleich, dass Marien dort erschien. Der herbeigerufene Pfarrer bestätigte, dies sei wahrhaftig der Heiligen Jungfrau reines Abbild und kniete nieder. Die bescheidene Rosina wollte es nicht glauben und stritt es ab. „Es kann nicht sein, nein, es ist nicht so“, waren immer wieder ihre Worte. Sie konnte es nicht glauben, dass ihr unsere Heilige Jungfrau erschienen war. Alle verstanden ihre Verwirrung, hatten großen Verständnis mit ihr, da ihr erschienen das heilige Bild.

Ganz aufgewühlt wollte die Nonne wieder weiter gehen, doch Georg Johannes hielt sie zurück und fragte sie ganz ruhelos, was mit dem Mädchen nun geschehen sei. Im Kloster sei sie, bei ihr in Hall, es wird noch gestritten, wer sie bekommen solle. Fünf Anträge lägen dem Bischof bereits vor, alle wollten sie die Auserwählte haben, jedes Kloster wolle sich mit ihr schmücken, mit einer, die auserkoren war, unsere Muttergottes zu sehen. Und schon riss sich die Nonne los und eilte von dannen.

Verzweifelt ging Georg Johannes nach Innsbruck zurück. Was sollte er tun? Würde er sagen, wie es gewesen war, niemand würde ein Wort ergreifen für ihn, dann angeklagt der Ketzerei, des Hochmuts und der Lüge. Wie sollte er sie denn je wieder sehen? Es marterte ihn die Schuld, dass sie nun hinter hohen Klostermauern darben musste. Wie sollte er denn je wieder glücklich sein? Ein nagender Schmerz fraß sich in ihm ein.

Georg Johannes verließ ein halbes Jahr später Innsbruck. Verbrieft ist, dass er zuerst nach Augsburg ging, dort aber nicht länger blieb. Dann verwischen sich seine Spuren. Tauchte er, wie es hieß, in St. Petersburg auf oder schiffte er sich ein, wie auch berichtet wird, in Nantes nach Amerika? Es ist nicht bekannt, was weiter mit ihm geschah.

Das Glas mit dem eingeätzten Abbild wurde zu Untersuchungen nach Innsbruck gebracht, vom hohen Klerus inspiziert, von aufklärten Wissenschaftlern untersucht, gewaschen, gekratzt, mit Laugen behandelt. Doch nichts geschah, das Glasbild blieb. So etwas ward ihnen noch nie untergekommen und man beschloss, je nach Überzeugung, es als Kuriosum oder als Wundersame Erscheinung anzusehen. Nach vielen Beratungen beschloss man, es nicht an die ganz große Glocke zu hängen, es aber als regionales Wunder, als Erscheinung anzuerkennen.

In einer feierlichen Prozession wurde das Abbild der Rosina nach Absam in die barocke Dorfkirche gebracht. Nun wurde aus der Dorfkirche eine Wallfahrtskirche, in der am rechten Seitenaltar bis heute das wundersame Bild zu sehen und zu verehren ist.

Die dort verehrte Maria hatte anfänglich noch keine Träne im Auge. Diese entstand erst drei Jahre später. Am Tage, als Rosina mit Jesus vermählt wurde, als sie ihren weltlichen Namen ablegte und bei einem feierlichen ewigen Gelübde den Namen Maria Walburga annahm und der Welt entsagte, ab diesem Tage erschien die Träne auf ihrem Abbild und gilt als neues Zeichen eines großen Wunders.

 

Literatur:
Gnadenbild Maria Absam, Gebetszettel, Ohne Angabe
R. Hinrichsen, Wallfahrten, Ein Abenteuer, Innsbruck. 1999
Th. Neulicher, Was Dahintersteckt, München, 1967
P. Neufer, Was hinter den Mauern ist, Wien, 1939