Über das Depot
Museums-Depots sind Orte der Verschwiegenheit. Orte der beredten Verschwiegenheit. Es sind Orte, die im Normalfall der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind. Die Exponate eines Museums-Depots entziehen sind dem Auge des Museums Besuchers, einerseits, weil sie schon einmal oder öfters gezeigt wurden, weil es Doppelungen der ausgestellten Gegenstände sind, aber auch, weil es aus Platzmangel nicht möglich ist, alles was zu zeigen ist, zu zeigen. Andererseits lagern in Museum-Depot auch die Dinge, die noch nicht erhört wurden, deren Geschichte noch nicht aufgeschrieben wurde, noch nicht erforscht, Dinge denen noch nicht zugehört wurde, denen ich noch mein Ohr schenken muss.
Der Schau-Raum, der Ausstellungs-Raum unterscheidet sind grundsätzlich von dem Museum-Depot. In der Öffentlichen Ausstellung, die sich meist in dem Haupthaus befindet, werden die Dinge exponiert präsentiert, dass sie die größte Aufmerksamkeit auf sich ziehen können, dass das einzelne Ding seinen eigenen Mittelpunk darstellt, dass seine Größe und Wichtigkeit seinem Narzissmus dienen kann. Die Exponate stehen und strahlen im Lichte der Öffentlichkeit.
Ganz anders das Museum-Depot. Die Depot Räume befindet sich meist in einem Nebengebäude, im Keller, im Dachboden oder sind ganz ausgelagert. Dort sind die Dinge, meist platzsparend in Kisten, in Schachteln, in Schubladen verpackt, hängen eng nebeneinander an den Wänden, an den Decken. Aus konservatorischen Gründen werden die Dinge dem Lichte entzogen, klimatisiert und nur zu Bearbeitungs-, Bestimmungs-, Erkenntnis- und Erkennungs-Arbeit, von ihren angestammten Plätzen entnommen. Die Dinge in Museum-Depot sind nicht vereinzelt, sind diesem Sinne nicht individualisiert. Sie individualisieren sich, in dem sie archiviert, gewogen, ausgemessen, beschrieben, fotografiert und nummeriert werden.
In einem Museum-Depot findet die eigentliche aktive Arbeit eines Museums statt. In den Ausstellungs-Räumen werden die Dinge passiv der Besichtigung dargebotenen. Die Augen der Museums-Wächter, des Aufsichtspersonal, sind die einzig ständig wachen, aktiven Akteure dieser Räume. Im Gegensatz dazu sind im Museums-Depot Forscher, Wissenschaftler, Praktikanten, Doktoranden, die die Exponate untersuchen, ihnen ihre Geschichte abluchsen wollen. Es sind ständig Tätige, Akteure damit beschäftigt, die Geschichten, die Erzählungen der Dinge aufzuschreiben, sie mit andern Dingen, Erzählung zu vergleichen, neue Wertungen und Bewertungen vorzunehmen. Restaurateure versuchen emsig, die Gegenstände zu erhalten oder wiederherzustellen. Ein reger Betrieb findet zwischen den im Museum-Depots gelagerten Dingen statt.
Schau-Depots stellen eine Besonderheit dar. Sie sind eine Mischung von Ausstellungsraum und Depots. Es wird dort die Vielfalt, das Überbordende von Depots gezeigt. Meist stehen die Schau-Depots symbolisch für das eigentliche Depot das weiterhin nicht zugänglich ist. Bis zu 90 Prozent der Museumsbestände befindet sich in den Museums-Depots.
Nicht viel anders ist es im Depot des Museum der Unerhörten Dinge. Auch hier lagern die Dinge, die noch unerhörten Dinge, die wenn sie erhört werden ihre Unerhörten Geschichten erzählen. Immer wieder werde ich gefragt, nach welchen Kriterien die Dinge in das Museum gelangen. Es sind alles Fundstücke, Begegnungen, wo wir, das Ding, der Gegenstand und ich uns trafen und Gefallen an einander gefunden haben. Es ist eine rein subjektive Auswahl, die offenbar keiner bewussten, beschrieben,Regel unterworfen ist, außer die der persönlichen Zuneigung, der gegenseitigen Anziehung. Es sind wunderliche Dinge, schöne, kuriose, einfache, rätselhafte oder einfach „nur“ banale Gegenstände, die meine Aufmerksam auf sich ziehen, die mir ins Auge springen, gesprungen sind, und Aufnahme in das Depot gefunden haben, mit denen ich nun ein 'Ding' laufen habe. Es ist daher keine Sammlung im klassischen Sinne, es ist eher ein Aufbewahrungs- Ort von persönlichen Bekanntschaften, Zuneigungen. Die eigentliche Sammlung, die ich sammeln würde, ist schon gesammelt, ist versammelt vor der Türe des Museums, es sind alle Gegenstände, alles Vorhandene, das der Aufmerksamkeit des Betrachters wert ist.
Der durchschnittliche Sammler hat meist einen Sammlungsgegenstand, ein Fachgebiet des Sammelns. Ein Pfeifen- Sammler sammelt Pfeifen, vielleicht hat er sich auf Meerschaum-Pfeifen spezialisiert, oder auf Eichenwurzel-Pfeifen. Selbst wenn er alle Pfeifen, die zu sammeln sind, besitzen würde, ist er sich doch nie gewiss, ob nicht doch eine Pfeife sich irgendwo auf er Welt versteckt, die er noch nicht sein eigen nennen kann. Er lebt im Zustand des ständigen Mangels, im Ständigen „es ist noch nicht Abgeschlossen“, er ist auf der beharrlichen Suche eines nie zu erreichenden Ziels.
Das Gegenteil ist das Depot das Museums der Unerhörten Dinge, es ist immer alles da was vorhanden ist, es fehlt nicht an Wichtigem, nichts an dem, was noch da sein könnte. Wenn etwas neues, ein neuer Gegenstand in das Museum kommt, im Depot Platz nimmt, ist es meist ein zufälliges Zusammentreffen. Eine unverhoffte, unerwünschte, aber mögliche Begegnung eines Dings mit mir. Die Voraussetzung ist ein gegenseitige Offenheit, eine Bereitschaft sich zu treffen, sich wahrzunehmen, die nicht immer und ständig gegeben ist. In diesem Sinne sind die Gegenstände in diesem Depot, Dinge einer persönlichen Begegnung und tragen das Ereignisse dieser Begegnung in sich. Alle die Gegenstände des Depots haben eine eigene, mit mir persönlich geteilte Geschichte, die daher rein subjektiv ist und nicht in den Ausstellungsraum gehört, in dem die Dinge mit einer allgemeinen Bedeutung, mit einer speziellen Aura, einer individuellen Erzählung gezeigt werden.
Solang dies nicht geschehen ist, so lange die Dinge eine noch nicht über das persönliche hinaus gehend Geschichte erzählen, bleiben sie, gewogen und nach ihrem spezifischen Gewicht sortiert, im Museums-Depot des Museums der Unerhörten Dinge.